Klebrige Böden, klebrige Füße oder: Die beste Zeit meines Lebens

Meine Freundin steht vor dem großen schwarzen Bilderrahmen, in dem Bilder von früher hängen. Von meinen Freunden, meinen Hunden, meinem Mann und mir.

„Bist das etwa du?“, fragt sie ungläubig.
„Ja“, antworte ich, „da war ich wirklich 22.“ Es liegt Wehmut in meiner Stimme. Diese Zeit ist lang vorbei.
„Toll siehst du da aus! Mit langen Haaren? Wow! Das steht dir super!“
Doch in den beiden Schwangerschaften habe ich viele Haare gelassen. Sie sind mir ausgefallen, haben kahle Stellen hinterlassen und noch heute sind sie so dünn und rar, dass sie herunter hängen wie Bindfäden.
„Und das hier“, sie zeigt auf ein Bild kurz vor meiner Hochzeit, „das ist auch toll. Du sahst da wirklich richtig klasse aus.“
Blond gefärbt, lupenreine Haut, geschminkt. Ja, da sah ich toll aus.

Kann sein.

Es war eine tolle Zeit, an die ich so unglaublich gern zurück denke. Ich war jung und unbedarft, mein Mann – damals noch mein Freund – und ich gingen jeden Abend essen oder Cocktails trinken. Wir arbeiteten viel und hauten das Geld gern auf die Kacke. Ich ging gern T-Shirts und Schuhe kaufen und regelmäßig zum Frisör. Wir kochten nicht. Wir backten nicht. Wir hatten keinen Esstisch. Wir hatten auch keine klebrigen Böden. Die Wäschekörbe waren maximal am Ende einer Woche voll. Wir hatten keinen Kombi und keine Verpflichtungen außer jene, die wir uns selbst auferlegt hatten. Aber.

 

Keine klebrigen Böden - keine klebrigen Füße: das Leben ohne Kinder.

Keine klebrigen Böden – keine klebrigen Füße: das Leben ohne Kinder.

Wir hatten keine Kinder.

Ich denke zurück an die Sommerurlaube an der Ostsee, in denen wir nur unsere Hunde unterbringen mussten und in denen wir das Hotel, das am nächsten zum Strand lag, wählten und nicht die Ferienwohnung mit Kinderstuhl und Waschmaschine. Wenn wir denn überhaupt fahren, denn wenn Urlaub früher bedeutete, sich einfach ins Auto zu setzen und dann mal so richtig zu entspannen, ist Urlaub jetzt für uns mehr Stress als Entspannung. Und das sieht man. Man sieht, dass wir beide, mein Mann und ich, fünf Sommer hintereinander mit Schwangerschaft, hochsensitivem Baby, wieder Schwangerschaft, zwei Kindern unter zwei und Überleben als Familie so ausgebucht waren, dass an Urlaube und Ausspannen keiner denken wollte. Nur überleben.

Bubba Ray war 13 Monate alt, ich bereits im 2. Monat schwanger mit D-Von. Ich litt unter Erbrechen und überlebte einfach nur. Ich verlor hier und da und ein paar Freunde und ein paar Haare, aber ich überlebte. D-Von wurde geboren und fortan verbrachte ich jede Minute eines Tages damit, mein 19 Monate altes Kleinkind durch seine Wut, Trauer und Eifersucht zu begleiten – und überlebte. Ich bekam Falten und Augenringe, aber ich überlebte. Die wenigen freien Zeitfenster verbrachte ich nicht damit, Urlaubsziele heraus zu suchen und mich in Selbstfürsorge zu üben, sondern damit, meine Grundbedürfnisse zu stillen. Zu essen, zu trinken, zu schlafen. Wenigstens zwei Stunden am Stück. Es gab keinen Raum, keine Zeitfenster für Entspannung.

Es gab kein Zeitfenster für mich.

In diesem Jahr nach D-Vons Geburt habe ich meine Bedürfnisse ignoriert und neben vielen Haaren auch noch sehr viel Oberflächenspannung meiner Haut gelassen. Ich habe keinen Urlaub gemacht und nie die Füße hoch gelegt.

Und dennoch war es die beste Zeit meines Lebens.

Heute haben wir klebrige Böden, mein Mann hat graue Haare, ich habe ein paar Kilos zu viel und ein paar Haare zu wenig. Wir fahren in den Urlauben nicht mehr weg um uns zu entspannen, sondern richten vielmehr unser Leben Schritt für Schritt so ein, dass wir uns im Urlaub nicht davon erholen müssen.

Wir genießen unsere Kinder in vollen Zügen. Wir atmen ihren Duft ein, wir saugen ihr Gelächter in uns auf, wir beobachten Sie beim Spielen und Toben, beim Buddeln und Schaukeln und Essen und Tanzen. Wir sagen ihnen tausende Male am Tag wie sehr wir sie lieben, drücken sie zu fest und küssen sie zu nass. Wir schleudern sie in einer Drehung „bis in den Himmel“ und uns laufen die Freudentränen wenn sie jauchzen. Wir sehen ihnen beim Schlafen zu und bleiben solang neben ihnen liegen, bis sich kein Händchen mehr regt, das sie uns auf die Wange legen könnten. Wir verlieren Haare und tauschen lupenreine Haut gegen Dreck und blaue Flecken ein. Urlaub, Entspannung, das ist hier. Es ist greifbar.

 

Klebrige Hände, klebrige Küsse: das Leben mit Kindern. Und die beste Zeit meines Lebens.

Klebrige Hände, klebrige Küsse: das Leben mit Kindern. Und die beste Zeit meines Lebens.

 

Heute verstehen wir Urlaube nicht als reisen in ferne Länder, wenn wir wissen, dass unser empfindliches Kind mit der Veränderung nicht zurecht kommt und sein Unwohlsein sichtbar macht. Wir sehen Urlaube nicht mehr als wegfahren, verreisen, etwas so besonderes wie nur möglich zu machen. Heute fahren wir direkt nach dem Aufstehen in unseren eigenen Garten, wir treffen Nachbarskinder und tauschen Zucchini gegen Mangold und Himbeeren gegen Äpfel mit ihren Eltern. Wir bleiben draußen, bis Bubba sich vor der Dunkelheit fürchtet und waschen uns nicht die Füße, sondern schlafen erschöpft und selig von einem wunderbaren Tag im Auto ein. Wir springen in Planschbecken, Pfützen, von Bäumen oder auf dem Sofa herum. Wir beobachten Babyfrösche, wir stellen Vogelfutter her und pflücken Äpfel von Bäumen.

Wir haben klebrige Böden, klebrige Füße, klebrige Hände und klebrige Münder. Wir haben uns. Und wir haben so viel mehr als je zuvor. So viel, was niemals mit Geld, glatter Haut oder Urlaub ersetzt werden könnte. Niemals.

Das ist die beste, beste, beste Zeit meines Lebens.

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