Lebenszeit

Ach Bubba.

Es ist schwer. Du hast es schwer. Ich hab es schwer. Wir haben es schwer. Naja, wir machen es uns schwer. Schwerer als es sein müsste. Vor allem ich. Denn eigentlich glaube ich so ganz tief in meinem riesigen Herzen, das oft nur für dich und deinen Bruder schlägt, dass es einfacher sein könnte. Einfacher und schöner. Dass ich euch, die Sonne, dieses Leben, dieses Mutter-Ding viel einfacher genießen könnte. Aber es ist schwer. Und kompliziert. Und das macht das Genießen… Anstrengend.

Du hast einen Filter weniger als andere. Und ich auch. Hochsensibel nennen das so manche Experten. Völlig übertrieben vermutlich der Rest der Welt.

Du nimmst alles auf, wirklich A L L E S.

Geräusche, Gerüche, Stimmungen, Bilder, Farben, Formen, Klänge, Gefühle. Gefühle Gefühle Gefühle. Du saugst sie auf wie einen Schwamm – doch gehen lassen. Das kannst du nicht. Das ist nicht dein Problem und auch nichts, wofür ich dich nun anprangern möchte. Aber das macht es wirklich sehr schwer.

Denn ich habe sie, diese Gefühle. Ständig.

Und egal in welcher Form ich auch versuche, sie von dir fern zu halten oder zumindest wohl zu dosieren – du spürst sie. Du saugst sie auf. Du machst sie zu deinen.
Mein Stress am Morgen entlädt sich und muss sich bei dir abregnen, noch bevor ich tief durchatmen konnte. Meine Anspannung singst und brabbelst und tobst du heraus, wie unter Strom. Meine Wut schreist du heraus. Meine Tränen werden zu deinen. Das macht es schwer, weil ich selbst keinen Filter habe, der mir vermeintlich einfache Dinge auch einfach vorkommen lässt. Nein, ich finde alles schwer. Ich bin schnell überreizt und schnell überfordert und dann wütend, meistens auf mich selbst, weil ich um Himmels Willen nicht BEGREIFE, wieso ich, nach einem Jahr mit euch, noch immer nicht die Schwachstellen kennen und akzeptieren kann. Wieso es nicht einfach ist.

Denn eigentlich hätte ich es gern einfach.

Ich würde gern morgens einfach duschen. Ich würde gern mittags einfach eine Mittagspause haben. Ich würde gern einfach mal eine Mahlzeit in Ruhe zu mir nehmen. Oh, ich würde gern einfach mal wieder mit einer Freundin essen gehen. Aber das geht eben alles nicht so einfach. Nein, wir machen es uns gerne schwer.

Dabei ist es schon einfacher geworden. Du bist immer noch der gleiche und dafür bewundere ich dich. Mich sogar auch ein bisschen. Denn ich hab dich sein lassen und das fiel mir nicht schwer. Das ist gut! Und ich bin stolz auf dich. Und doch weiß ich, dass du dich oft fragst, wieso ich es mit dir an manchen Tagen so schwer finde. Denn schließlich machst du ja nix. Du bist einfach da. Einfach du. Und das fällt dir selbst ja manchmal schwer. Dann möchtest du aufgefangen und einfach gehalten werden und Himmel – ich weiß das! Ich weiß das! Ich weiß es so sicher wie das Amen in der Kirche, in die ich nie gehe und kann es doch nicht. Denn da sind diese Emotionen, die ich nicht filtern kann, die so auf mich einprasseln wie der Regen eines starken Gewitters, die mir mein Herz so schwer machen und meinen Blick so vernebeln. Und dann fällt mir alles schwer. Es fällt mir schwer, eure Lautstärke auszuhalten, eure Emotionen. Eure Wehwehchen. Eure Bedürfnisse. Ich muss, auch das weiß ich und das will ich ja. Ich will es so gerne aushalten, abnehmen, mit Leichtigkeit ertragen können. Doch – es fällt mir manchmal sehr, sehr schwer. Ich bin dann nicht ich. Bin nicht die, die ich sein will. Da ist Wut und da sind Bedürfnisse, die ich vielleicht verstecken müsste und es gerade nicht kann, warum auch immer. Ich bin ein starker Mensch und ein schwacher zugleich. Und manchmal siegt der eine…. Manchmal aber auch der Andere. Dann siehst du mich an, in einer Mischung aus der hilflosen Frage, was du wohl falsch gemacht hast, dass ich dich so schwer aushalten kann und dem Wunsch, so laut um Hilfe zu schreien, dass dich jemand hört, der uns hilft, der mir die schweren Taschen abnimmt, den schweren Einkauf, deinen schweren Bruder, die schwere Last des Tages.

Wir beide haben es schwer und können uns nicht ändern. Und ich will das auch gar nicht.

Nein, ich will dich nicht ändern. Du bist der beste Mensch, den ich kenne. Du bist ein Wunder. Du bist ein großartiger, wundervoller Mensch. Du bist klug, witzig, liebevoll und liebenswert. Ich liebe dich, genau so wie du bist und nein, das fällt mir keine Sekunde schwer. Auch nicht, wenn du brüllst, wenn du weinst, wenn ich brülle oder weine. Ich weiß, es ist schwer mir das zu glauben doch ich verspreche dir: ich arbeite an mir. Ich mag mich selbst nicht so.

Die Wut ist da, sie taucht auf wie Nessie, immer dann, wenn Überforderung und zu große Anstrengung sich breit machen. Wenn ihr zu laut seid, zu viel von mir wollt, das ich nicht leisten kann, in der Zeit, in der ich es leisten wollen würde. Wenn mein fehlender Filter Schuld ist an Überreizung und Überstimulierung und wenn ich an nichts anderes mehr denken kann, als an einen Liegestuhl an einem sonnigen Platz irgendwo, wo außer mir kein Mensch ist. Es ist wichtig, dass du weißt, dass NICHT DU und NICHT DEIN BRUDER meine Belastung seid. Nein, tatsächlich seid ihr die Höhepunkte, die allerschönsten Dinge meines Lebens und ich danke euch, dass ihr es lebenswert macht.
Es ist wichtig, dass du weißt, dass ihr genau richtig seid, so wie ihr seid und dass ich mir Kinder wie euch gewünscht hätte, wenn ich euch nicht eh schon hätte. Ihr fallt mir nicht schwer. Doch das Leben. Das schon. Manchmal.

Wir machen es uns nicht gerade leicht, unsere Tage sind voll und lang und die Nächte kurz und ruhelos. Aber wisst ihr, ihr kleinen frechen, wilden, lauten, viel zu kleinen Menschen; wir haben es vielleicht schwer, vielleicht haben wir es anstrengend, vielleicht haben wir viel zu viele Herausforderungen… Aber wir haben uns.

Ihr seid wundervoll. Ich liebe euch, ganz.genau.so.

Ihr seid der Grund für mich, alles auszuhalten. Die schweren Tüten, den schweren Einkauf, die schwere Last des Tages. Denn, auch wenn ich selten kompetent genug bin, euch das spürbar zu beweisen, müsst ihr wissen:

Ihr beiden und diese verdammt langen, verdammt anstrengenden Tage; ihr seid – ganz einfach – die beste Zeit meines Lebens.

34 Antworten

  1. Danke!♡ Auch hier Tränen. Nach drei Wutanfällen und der Frage warum es nicht etwas „leichter“ sein kann. Warum ICH es nicht leichter nehmen kan…Du sprichst so wahr!

  2. Ich wünschte auch, es wäre einfacher und die Wut, die hab ich nicht auf meine Kinder. Auf mich ja und vor allem auf den Umstand, dass mir als einzige Alternative (scheinbar) bliebe meine geliebten Kinder in eine Betreuung zu zwingen, die sie nicht wollen (zumindest K1nicht), mit Menschen, die von Bindung und aktiver Beziehungsgestaltung keine Ahnung haben.
    Gerade weil es die schönste Zeit ist, bin ich oft traurig, dass ich sie nicht mehr genießen kann, weil ich so erschöpft bin und verzweifelt. Danke, dass ich wenigstens nicht allein bin damit. ❤️

    • Guten Morgen Julia,
      zunächst verzeih‘ bitte, dass ich erst jetzt antworte. Dein Kommentar ist völlig untergegangen :-/ Aber ich habe ihn ausgegraben und bin froh, dass er da ist, denn: mir ging es sehr ähnlich. Unsere Familien können den zeitlichen Aufwand nicht bringen, unsere Kinder mal für ein paar Stunden die Woche zu nehmen und möchten es sicher auch nicht immer. Es gibt außer meinem Mann niemanden, der mal beide Kinder gleichzeitig nimmt. Zwar geht Bubba Ray ja schon eine Weile zu einer sehr sehr bindungsorientierten Tagesmutter, allerdings wollte er das kurz nach der Geburt von D-Von partout nicht mehr. Also pausierten wir immer wieder mehrere Wochen und versuchten es erneut. Man kann sagen, dass seine Eingewöhnung so fast ein Jahr gedauert hat. Und immer immer wieder wurde die Erschöpfung laut. Nun geht D-Von die zwei Vormittage die Woche mit – er liebt es – und Bubba’s Probleme sind wie weggeblasen. Erst jetzt kann ich wirklich 10 Stunden die Woche richtig ausspannen, bloggen, in Ruhe Dinge erledigen. Das gibt mir sehr viel Kraft und dennoch wird die Erscöpfung oft laut. Es ist gemein, weil ich diese ersten Jahre so gern einfach in vollsten Zügen genießen können würde. Aber der Alltag macht mir da oft einen Strich durch die Rechnung. Eine Betreuung, in die meine Kinder nicht wollen, käme allerdings auch bei mir – ganz gleich wie anstrengend es sein mag – auch nie in Frage. Du bist nicht allein. Wir sind viele.
      Ich drücke dich!

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