„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht!“ – oder doch? (Gastbeitrag von Bianca Hollmers)

Sagt mal, war das Christkind schon da, um die Geschenke abzuliefern? Oder der Weihnachtsmann? Wer von euch hat denn irgendwann in der Adventszeit eine magische Wichteltür im Kinderzimmer entdeckt? Hände hoch: wessen Kinder glauben an diese Magie, an diese fantastischen Erzählungen, an die Märchen, an die Geschichten, an Fabelwesen, an Weihnachtsmänner, Christkinder, Wichtel, an … diese Lügen?

Genau. So einige.

Wer von euch gibt hier im Internet nicht seinen richtigen Namen an? Wer hat bei einer Rechnung, der Steuer, der letzten Diät schon mal geschummelt? Hand auf’s Herz: wer hat bei einem flapsigen Small-Talk zuletzt erst behauptet, es ginge ihm gut, obwohl er eigentlich müde, kaputt, abgekämpft oder bocklos war?

Genau. So einige.

Lügen sind alltäglich, wir haben uns an sie gewöhnt und um ehrlich zu sein sind die meisten von ihnen so harmlos (solange sie keinen verletzen, kränken, ernsthaft und schwer täuschen), dass sie nicht der Rede wert sein sollten. Wie aber reagieren, wenn das Kind plötzlich anfängt, uns zu belügen? Uns zu täuschen, Dinge verdrehen oder gar zu verheimlichen?

Ich habe heute eine ganz besondere Gästin, die wahnsinnig empathisch und locker auf diese Entwicklungsstufe im Kleinkindalter eingeht und einen wunderbar diplomatischen Zugang zu dem Thema gefunden hat, wie ich finde. Herzlich willkommen, liebe Bianca, eine meiner FamilySteps-Mentorinnen, und ganz vielen Dank, dass ich deinen Text veröffentlichen darf.

Bevor ihr ääääh der Weihnachtsmann die Geschenke unter den Baum legt: lest das. Und dann: macht so weiter. <3

Frohe (verlogene 🙂 ) Weihnachten!


 

Wer einmal lügt…

…dem glaubt man nicht. Diesen Satz kennen wir wohl alle.
Ich muss ja gestehen: ich bin mehr als dankbar, dass es so einfach nicht ist. Denn, wenn ich ehrlich bin, mir würde schon lange niemand mehr glauben.

Es fängt meist schon am Vormittag beim Einkaufen an, wenn ich jemanden treffe und der übliche Small-Talk beginnt:

„Oh, schön Dich mal wieder zu sehen (ja wirklich?)! Wie geht es Dir denn?“
„ Ach ja, das ist ja wirklich schön (ist es das echt?). Gut geht es uns (nein verdammt, ich habs echt eilig, mein Mann ist gerade ausgezogen, ich weiß nicht wie ich die ganzen Rechnungen bezahlen soll, außerdem macht das Auto Zicken, ich brauche endlich mal wieder eine Pause nur für mich und auf der Arbeit läuft es gerade auch alles andere als rund) und Euch (interessiert mich eigentlich auch nicht wirklich, denn ich habs ja eilig) ?“

Zack, erste Lüge des Tages, und damit bin ich heute sogar spät dran. Es gibt Tage, da rutschen sie mir noch viel früher raus. Wenn mein Sohn lieber zu Hause bleiben will, anstatt in den Kindergarten zu gehen, was meist auch okay ist. Aber es gibt sie, diese Tage, wo ich einfach Zeit brauche. Und nein, wenn ich auch hier ehrlich bin, an diesen Tagen habe ich keine Kraft dazu, mich zu erklären, da heißt es dann doch mal: „Tut mir leid Schatz, aber ich muss heute arbeiten. Morgen kannst Du hier bleiben.“ Meine Arbeit sieht dann wie folgt aus: Kaffetasse, Sofa, Serie. Nicht schön, aber manchmal ist es so.
So zieht sich das dann durch den Tag, und wer mir jetzt nicht glaubt, oder denkt „Jaaa, bei uns ist das nicht so“, der darf sich gerne mal eine Woche lang selbst beobachten und ganz genau hinsehen. Ich dachte nämlich auch, ich sei ein durch und durch ehrlicher Mensch (geworden). Pustekuchen!

Wir lügen ständig. Und das ist auch okay!

Wilhelm Busch hat mal gesagt:
„Wer möchte diesen Erdenball noch fernerhin betreten,
wenn wir Bewohner überall die Wahrheit sagen täten?“

Und da muss ich ihm irgendwie Recht geben. Es gibt Situationen, da ist es einfach besser, die Wahrheit nicht zu sagen, sie vielleicht ein wenig zu verschleiern, verzerren, verändern. Andersrum gibt es genauso Situationen, in denen ich nicht immer die Wahrheit hören will. Wenn ich zum Beispiel einen richtigen Scheißtag hatte, dann will ich am Abend nicht noch hören, das ich echt fertig und kacke aussehe, das muss dann einfach nicht gesagt werden, auch wenn es ganz sicher so ist.

Wer das bis hierhin genauso sieht :“High-Five!“, denn jetzt passiert was Lustiges.
Und zwar dann, wenn wir das erste Mal bemerken, dass unser Kind die Unwahrheit spricht. Unsere kleine, unschuldige Welt bricht zusammen. Na gut, sie fängt erstmal an nur zu bröckeln.
Tausend Gedanken und Emotionen überrollen uns in Sekundenschnelle: „Warum hat es das nötig? Es kann mir doch immer alles sagen. Ich war noch nie böse wegen etwas. Wieso vertraut es mir nicht? Ich hab ihm doch immer vorgelebt das wir ehrlich sein müssen.“

Wir neigen dazu Dinge persönlich zu nehmen, an uns zu zweifeln. Erst recht, wenn sie von unseren Kindern kommen. Dadurch werden wir sauer, traurig, wütend, enttäuscht.

Und hey, das ist auch in Ordnung, denn so fühlen wir und so sind die Meisten von uns aufgewachsen. „Lügen darf man nicht!“
Und das hier soll auch kein Plädoyer für das Lügen werden, ich möchte einfach nur gerne die Schwere die auf dem Thema „Lügen“ liegt, ein wenig leichter machen. Denn gerade wenn es um Kinder geht steckt so vieles hinter einer vermeintlichen Lüge, nur keine böse Absicht.

Wenn ich von Kindern rede, bewege ich mich im Kleinkindalter, das heißt so zwischen 2-4 Jahren. In diesem Alter konfrontieren uns die meisten Kinder mit ihren ersten Unwahrheiten. Das ist komisch, denn laut ihrer Hirnentwicklung sind sie erst ab Vorschulalter in der Lage bewusst zu lügen. Was ist da los?

Kinder begreifen die Welt anders als wir Erwachsene. Sie leben in einer Welt, in der alles möglich ist.

Kuscheltiere können sprechen, der Vorhang der sich im Wind bewegt ist lebendig und den Weihnachtsmann gibt es wirklich (wo wir gerade dabei sind, bei wem von Euch kommt denn der Weihnachtsmann?).
Irgendwann fangen sie an, sich an der Realität zu reiben, sie wollen herausfinden was echt ist. Unsere Kinder sind hier auf uns Erwachsene angewiesen. Sie wollen sich mit uns austauschen, wissen, ob wir Dinge genauso sehen wie sie.
Mein Sohn stand einmal am Fernster und erzählte mir, dass es gerade schneit. Es war Sommer und von Schnee war weit und breit nichts zu sehen. Ich antwortete ihm, dass doch aber die Sonne scheinen würde. Im Winter würde es schneien, aber jetzt gerade hätten wir Sommer. Er hörte mir aufmerksam zu, konnte es aber nicht so richtig akzeptieren. Im Grunde haben wir uns darauf geeinigt, dass es in seiner Welt gerade schneit, in meiner scheinbar nicht.
In dieser kleinen Unterhaltung steckt so viel! Sie zeigt, wie wunschgeleitet Kinder leben. Ich bin mir sicher, dass er 100% davon überzeugt war, dass es schneit, einfach weil er das wollte. Sie glauben felsenfest, dass etwas genauso passiert, wenn sie es aussprechen.
Wer kennt das nicht, wir sitzen gemütlich auf dem Sofa, genießen die Ruhe und trinken unseren Kaffee. Plötzlich fällt uns auf, dass es irgendwie ZU ruhig ist und wir schauen nach, was unser Kind so macht. Da sitzt es im Bad, von oben bis unten mit Creme eingeschmiert, die offene, mittlerweile leere Dose noch in der Hand und es sagt „Ich war das nicht…“ – Aha, ist richtig! Da kommt sie wieder hoch, die Wut. Zuerst über das angerichtete Chaos, dann über die offensichtlich Lüge. Aber hey, dieses Kind wünscht sich in dem Moment so so sehr, dass es das wirklich nicht wahr, dass es das selbst glaubt. Der Wunsch danach ist einfach so groß.

Für Kinder haben „Lügen“ eine ganz andere Bedeutung als für uns.

Seitdem ich das weiß und auch akzeptieren kann, fällt es mir viel leichter damit umzugehen. Es macht sogar Spaß, gemeinsam mit meinem Sohn Wahrheit und Lüge aneinander zu reiben, herauszufinden was real ist und was nicht.
Gertrud Ennulat gibt in ihrem Buch „Wenn Kinder lügen“ diesen wunderbaren Tipp:
„Mein Kind verändert sich und ist dabei, einen mächtigen Entwicklungsschritt zu tun. Da ist es gut, wenn ich mich auf stürmische Zeiten einstelle und nicht wegschaue, wenn ich hinschauen sollte. Nur mit Hilfe klarer Zuordnungen bildet sich langsam, aber sicher die bewusste Unterscheidung von Lüge und Wahrheit aus.“
Ich persönlich finde diese Sichtweise ganz großartig, aber manchmal reicht es mir auch schon, mich an meinen Small-Talk am Vormittag zu erinnern. 😉

Bianca Hollmers
Einfach Eltern- FamilySteps

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