Rezension
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„Eine Million Minuten“ von Wolf Küper
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-8135-0743-0
NEU Erschienen: 19.09.2016
„Normalerweise funktioniert die Wertschöpfungskette ja anders herum: Leben wird zu Zeit, wird zu Erwerbstätigkeit, wird zu Geld, wird zur Sache, wird zu positiven Gefühlen.
Komisch ist, was passiert, wenn man die Wertschöpfungskette mal auslassen will. Und einfach direkt das Leben haben möchte. Also das eigene.“
Wolf Küper ist zweifacher Vater und vielbeschäftigter Umweltwissenschaftler, der sich gerade auf der Karriereleiter zwischen der Sprosse „fantastisch bezahlter Gutachter für die Vereinten Nationen“ und der Sprosse „hervorragende Position als Wissenschaftler ein einem renommierten Forschungsinstitut in Kapstadt“ befindet, als seine vierjährige Tochter Nina beim abendlichen Vorlesen einen besonderen Wunsch äußert.
„Ach Papa, ich wünschte, wir hätten eine Million Minuten. Nur für die ganzen schönen Sachen, weißt du?“
Der kindische Wunsch der Vierjährigen lässt ihn nicht mehr los und so beginnt Wolf Küper sich zu fragen, was man mit einer Million Minuten alles anfangen könnte. Was würde die Familie alles verlieren? Was würde sie gewinnen?
Als ein psychologisches Gutachten über Nina’s „kognitiv-wahrnehmungsmäßige“ (S. 9) Herausforderungen per Post eintrudelt, steht für ihn fest, seiner Tochter diesen Wunsch zu erfüllen. Und so verkauft die Familie alles Hab und Gut und plant eine Weltreise. Eine Reise, die genau eine Million Minuten dauert.
„Die angebliche Realität ist eigentlich immer nur der Ausschnitt, den man bisher kennengelernt hat.“
Zum Inhalt
Was genau Nina für Wahrnehmungsstörungen oder kognitive (Un-)Fähigkeiten hat, welche Behinderung sie haben könnte – das erfahren wir bis zum Ende des Buches nicht. Denn: das ist nicht wichtig. Alle Eckpfeiler seines bisherigen Lebens reißt Wolf Küper ein. Er verkauft seine Möbel, das Auto, Bücher und seziert so Schritt für Schritt sein materialistische, auf Karriere ausgerichtetes Leben in seine Einzelteile, bis nichts bleibt außer wenig Kleidung, ein paar Koffern und seiner Familie.
„In meinem Tagebuch machte ich mir einige Notizen zum Thema Echt verlieren. Ich glaube, echtes Verlieren ist eine der ganz großen Übungen. Besonders, weil wir ja in einer Gesellschaft der optimierten Sieger leben.“
In dieser Konstellation treten die vier eine schier unglaubliche Reise an, von der Küper genau so humoristisch wie klug berichtet. Doch keine Sorge: der Autor überbietet sich nicht selbst mit fantastischen Begebenheiten und Erlebnissen. Stattdessen verfolgt man die Reise auch mal seitenweise durch Strand-Spaziergänge, auf denen Nina ihrem Vater den wahren Sinn des Lebens erklärt. Nina, die eigentliche Hauptperson des Buches, wirkt dabei so wenig geistig eingeschränkt wie hilfebedürftig und das ist ganz genau das, was den Stil ihres Vaters für mich so besonders macht: er spricht zu keinem Zeitpunkt in dem Buch vom Schock der Diagnose. Auch diagnostiziert er seine Tochter nicht und lässt ihren „Makel“ nicht zum Fokus des Buches werden.
„Da standen andere Eltern neben mir und wollten mir einfach nur irgendwie helfe und sagten so etwas wie: „Das wird schon.“ oder: „Sie hat sich aber wirklich gut gemacht im letzten halben Jahr.“ Es gab auch Sätze, die anfangen mit: „Aber dafür hat sie…“ Und ich dachte immer: „Wofür noch mal?“ Als müsste da etwas kompensiert oder gerecht gemacht werden.
Rund um die 830.000ste Minute in Denmark, West Australia, beschäftigt sich Küper (und somit auch das gesamte Kapitel hindurch) mit der Beeinträchtigung seiner Tochter, die er eher als Niederlage, als als Krankheit beschreibt und beschreibt seinen Schmerz darüber. Die Schilderungen seiner Gefühle sind ergreifend und authentisch, dabei bleibt er stets seiner Linie, die Behinderung nicht in den Vordergrund zu stellen treu. Wir lernen ihn als warmherzigen, sehr liebenden Vater kennen, der ganz bei sich und seiner Tochter ist. Doch weiterhin liegt der Fokus der Geschichte nicht auf den negativen Aspekten. Die Reise der Familie holt den Leser ab. Wir begleiten die vier auf ihren Abenteuern, die manchmal gar keine sind. Wir begleiten sie auf ihrem Leben, das nun als Reise durch die halbe Welt passiert, wir betrachten sie, wie sie neue Dinge erlernen und die Zeit vergessen. Wolf Küper beschreibt in diesem Buch die Reise, die für ihn und seine Familie nicht den Verlust des alten Lebens bedeutet, sondern vielmehr den Gewinn des Glücks.
„“Wir müssen noch die Zeremonie machen!“, forderte sie.
Ich hatte aus Spaß versprochen, dass wir noch so tun würden, als hätten wir heute ein völlig neues Land entdeckt und würden es jetzt feierlich in Besitz nehmen. Eigentlich ist mir gar nicht danach. Ich bin noch etwas durcheinander von meinen Grübeleien. Passiert einem ja nicht ständig, dass einem klar wird, dass man mitten in einem Lebenstraum lebt.“
Persönliches Fazit
„Eine Million Minuten“ ist ein wunderbar warmes, liebevolles Buch über das große Glück einer Familie. Der Leser begleitet eine vierköpfige Familie, in deren bisheriger Realität eine Diagnose zu einem Zusammenbruch hätte führen können, auf eine Reise, die das genaue Gegenteil bringt. Gegen Ende des Buches beschreibt der Auto, dass diese eine Million Minuten alles verändert hatten, dass die Familie mehr Familie geworden sei, als er sich jemals habe vorstellen können und dass das Ende dieses Zeitraums der Beginn einer neuen Zeitrechnung war. Das Ende ist offen – es wird nur klar, dass sie zunächst zurückgekehrt sind nach Bonn, in ihre Heimatstadt. Dass Wolf Küper allerdings eine so große persönliche Entwicklung durchgemacht hat, die nicht dazu führen kann, dass er sein altes Leben wieder aufnimmt, wird auch deutlich. Auch wenn wir nicht wissen, wie genau die Familie ihre nächsten eine Million Minuten verleben wird, so wird doch klar, dass sie es gemeinsam und glücklich bis in die Haarspitzen tun werden.
Ich persönlich habe dieses Buch sehr genossen. Es ist nicht reißerisch, präsentiert nicht wilde Abenteuergeschichten, aneinandergereiht und sortiert danach, welche nun am wildesten war. Das Tagebuch von Wolf Küper wird in diesem Buch lebendig. Dabei erfahren wir – fast nebenbei – noch, welche Orte dieser Erde er als die schönsten Reiseziele empfiehlt. Ich habe den Stil, witzig, klug und so bodenständig, sehr genossen. Es ist eine leichtfüßige Geschichte voller Liebe für seine kleine Familie und diese eine Million Minuten, auf denen sie alle das Glück fanden.
Dieses Buch gehört als Geschenk unter den Weihnachtsbaum, denn es ist ein mutiges Plädoyer dafür, alte Muster einzureißen und neue Wege zu besteigen. Sich nicht von negativen Erlebnisse die Kraft rauben zu lassen, sondern im Loslassen eine Gabe sehen, eine Reise zum Glück. Mich hat dieses Buch auch im Kleinen sehr berührt und durch die vielen teils philosophischen Gedanken des Autors auf seiner persönlichen kognitiven Entwicklungs-Reise viele Denkprozesse über das eigene Leben, die eigenen Werte und Grenzen wie Zeit, finanziellen Druck und die Frage danach, was eigentlich wirklich wichtig ist, angestoßen.
Ich danke Wolf Küper sehr, dass wir an dieser Reise teilhaben durften und ich danke der Randomhouse Verlagsgruppe für das Rezensionsexemplar!
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