Lieber Bubba,
heute Mittag vor ganz genau drei Jahren bist du geboren. Das Gefühl, ein neugeborenes, nacktes Baby auf der Brust und dem Bauch liegen zu haben, werde ich niemals vergessen. Niemals.
Damals, als du dort lagst, verschmiert, zerknautscht, zerbrechlich und knatschig, da schienen diese drei Jahre unendlich weit weg. Unerreichbar. Wie eine endlose Zeit, wie eine Ewigkeit. An drei Jahre waren nicht zu denken, nicht mal an drei Wochen. Was zählte war der Augenblick, in dem du dort bei mir lagst, ich deinen Duft einatmete und alles was du tatst, jedes Geräusch, das du von dir gabst und jede Bewegung für mich völlig unerklärlich und neu war.
Und nur wenige Sekunden später sind drei Jahre um. So fühlt es sich an.
In drei Jahren mit dir habe ich über 5.000 Bilder geschossen und ich habe sie mir alle angesehen, in den letzten Tagen. Aus den 2.000 Bildern des Jahres 2016 habe ich erst gestern Nacht ein Fotoalben für deine Großeltern erstellt. Übrig geblieben sind 78. 78 Bilder von dir und deinem Bruder, auf 26 Seiten. Ich sah die Bilder aus dem letzten Januar und Videos, in denen deine Sprache noch holprig und unklar ist. Und wenn du heute sprichst, dann steht ein 95cm großer Erstklässler vor mir, so klar, so deutlich und so korrekt drückst du dich aus.
Ich fand eines, auf dem du dir dein Brot zum ersten Mal selber schmierst. Margarine und Pflaumenmus. Nur wenige Sekunden zuvor, hatte ich dich doch nach jedem Pflaumenmus-Brot noch baden müssen…. Und nun saßt du dort und schmiertest präzise bis in die Ecken. Nur wenige Sekunden nach dem letzten Pflaumenmus-Brot-Bad.
Ich bestaunte Augenblicke, auf denen du neben deinem Bruder auf dem Wickeltisch lagst, weil es Monate, Mooooonaaaaateeeelang ein Eifersuchtsdrama sondergleichen war, wenn ich nur einen von euch wickelte und der andere warten musste. Und nur ein paar Sekunden weiter kommt ein Bild, auf dem du – ganz ohne mich – allein mit der Eisenbahn spielst. Ich schoß es vor dem Wickeltisch stehend, das weiß ich noch.
Dazwischen: nur wenige Sekunden.
Ich sah uns beide im Schnee, im Café, Zuhause, im Garten, im Wald, auf Spielplätzen. Wir waren immer zusammen. Ich sah eure Entwicklung, in diesen Bildern des Jahres 2016. Ich sah, wie groß ihr beide geworden seid, wie schnell ihr euch entwickelt habt, wie unglaublich unterschiedlich die Bilder des Sommers 2015 zu dem Sommer 2016 sind.
Und zwischen ihnen: nur wenige Sekunden. Ein Wimpernschlag. Jemand klatscht in die Hände. Drei Jahre sind um.
Nun bist du drei Jahre alt und ich weiß nicht, wo ich beginnen soll, dir von dir zu erzählen. Du bist alles für mich. Die ganze Welt. Du und dein Bruder seid alles, was ich habe. Und ich sehe es in all diesen Bildern, immer wieder. Fotos, auf denen ich dich trage, deinen Bruder trage, manchmal auch euch beide gleichzeitig. Bilder, auf denen wir alle schlafen – heimlich aufgenommen von deinem Papa. Ich finde Bilder aus dem letzten Sommer-Urlaub bei unseren Freunden, aus dem du mit 12 Mückenstichen am Körper nach Hause kamst. Alles juckte, wirklich alles. Ich finde die Bilder deiner Influenza im letzten Frühjahr und erinnere mich an den Schmerz, den ich in diesen 5 Wochen der Qual für dich empfand und den ich dir doch nie abnehmen konnte. Ich entdecke Bilder, auf denen du blaue Augen und aufgeschlagene Knie hast, natürlich nicht kurz nach den Stürzen, sondern Tage danach aufgenommen – und noch immer sichtbar. Ich erinnere mich an viele Stürze, Tränen und Schmerzen. Auch an sehr viel Wut – nicht nur von dir.
Vor allem aber finde ich unzählige Bilder, viel mehr als alle anderen, auf denen du lachst! Und neeeee neeee, du, du lachst nicht irgendwie. Nee. Du strahlst, wenn du lachst. Dann zeigst du alle Zähne, kneifst die Augen ganz klein zusammen, manchmal brüllst ein lautes „Haahaaa“ hinaus in die Welt, du springst dabei auf und ab und trampelst mit den Füßen auf. Nein, du lachst nicht einfach nur so, du bebst. Und alle anderen um dich herum dann auch. Die Bilder mit dem glücklichen Bubba Ray machen 90% aus und das ist Wahnsinn, wo mein Kopf mir doch so oft nur die negativen Erinnerungen zeigt. Das ist nicht die ganze Wahrheit, das sehe ich jetzt. Zwischen uns, in diesem Jahr, in deinem Leben, da war ganz viel Freude. Ganz viel Glück, neben all dem Negativen. Wenn mich jemand bitten würde, diesem Jahr nur ein einziges Attribut zuzuordnen, es wäre: emotional.
Du und ich, wir knallen aneinander. Meistens mit voller Wucht. Und genauso lieben wir uns auch. Mit voller Wucht. Du lässt mir keine Chance, nicht authentisch zu sein und bist, tatsächlich, nach all meinen gelebten Jahren der erste Mensch, der mich sozusagen gezwungen hat, meine Schutzmaske abzulegen. Durch dich bin ich, wer ich bin. Und durch dich habe ich erst verstanden, was „Vermissen“ bedeutet. Denn…
Ich vermisse deine falschen Wörter, jedes Einzelne. Ich vermisse es, dich im Tragetuch zu tragen, regelmäßig. Ich vermisse dich oft im Alltag, wenn dein kleiner Bruder immer schneller, bedürftiger oder einfach kleiner ist. Ich vermisse es, meine Aufmerksamkeit gerecht aufzuteilen und manchmal vermisse ich auch die Zeit mit dir alleine. Ich vermisse deine kleinen Baby-Kulleraugen oft und manchmal sogar das Stillen. Du bist so unendlich, so unerreichbar schnell groß geworden.
Drei Jahre sind um. In wenigen Sekunden.
Sich von deinem Lebensjahr zu verabschieden, heißt auch immer – schon allein aufgrund des Zeitpunkts – sich vom Kalenderjahr zu verabschieden. In den letzten Wochen also habe ich dich oft ganz bewusst wahr genommen und genossen, habe dir zugehört und manchmal absichtlich all die falschen Wörter benutzt, die du noch vor einem Jahr benutzt hast und wir beide haben dann gelacht, wenn du mich korrigieren musstest. Wir haben ganz viele wunderschöne Dinge dazu gewonnen, lesen nun ganz andere Bücher, mit viel längeren Sätzen und Geschichten, die wir beide so lieben und jeden Abend, wenn dein Papa D-Von ins Bett bringt, genießen wir diese Ruhe und Harmonie, ganz allein eingekuschelt dort zu sitzen und Bücher zu lesen bis du irgendwann kaum noch deine Augen offen halten kannst. Wir verbringen sehr bewusst gemeinsame Zeit, nur wir zwei. Das ist, was wir gewonnen und gelernt haben, in diesem Jahr. Bubba Ray, ich sage dir: wenn ich eine Sache in diesem Jahr getan habe, dann ist das, an mir zu arbeiten, wie in keinem Jahr meines Lebens zuvor. Und obwohl du und dein Bruder in so wenigen Augenblicken die Jahre nur so dahin raffen, schien das wirklich wie ein ewiger Prozess und ich verspreche dir, er ist nicht abgeschlossen. Genau so wenig, wie euer Wachsen.
Sich von deinem Lebensjahr zu verabschieden, heißt auch immer: ein neues Lebensjahr begrüßen. Und ich empfange es mit offenen Armen. Du wirst im nächsten Jahr sicher noch größer, noch klüger, noch hübscher, meine Liebe zu dir wird größer, meine Vermissung der verstrichenen Zeit sicher auch. Wir werden jeden dieser Augenblicke genießen, wir werden sie in Bildern festhalten und eines Tages gemeinsam ansehen. Und vielleicht, ganz vielleicht, schaffe ich es eines Tages, den verpassten Chancen und falschen Entscheidungen nicht mehr hinterher zu trauern, sondern zu begreifen, dass ich – ab jetzt und jeden Tag aufs Neue – die Chance habe, alles gut zu machen. Dich und deinen Bruder zu begleiten, zu genießen und am Ende eines weiteren Jahres, so wie heute, einfach da zu sitzen und zurückzublicken. Auf die wenigen Sekunden des letzten Jahres, das wie im Flug an uns vorbeizieht.
Mein wunderbarer, zauberhafter, kluger, wunderschöner, liebevoller, unverwechselbarer Sohn, ich wünsche dir – von ganzem, großen Herzen, einen magischen Geburtstag und ein unvergessliches neues Jahr mit noch viel mehr Erlebnissen, mit viel mehr Entwicklung, mit viel mehr Wissen und Kennenlernen, mit viel mehr Entdecken, mit riesigen Wünschen, Träumen, mit Gesundheit und Geborgenheit, mit noch mehr Liebe und noch mehr Emotionen.
Und mehr Zeit, als nur Sekunden. Das wäre schön.
Alles Gute, mein kleiner großer Mann.
Eine Antwort
Das hast du so schön geschrieben. Da geht mir das Herz auf!