Anonymer Gastbeitrag der Reihe #ÖkoHippieRabengäste
Es ist ja so: Jeder hat heute seine persönliche Macke. Oder zwei oder drei. Jeder hat seine Grenzen, die er verteidigen muss und will. Und nicht immer klappt das so locker fluffig, wie Jesper Juul das schreiben würde. Meistens ist es sogar ein ziemlicher Kampf, der immer dann von vorne losgeht, wenn man sich endlich sicher wähnt.
Bei mir ist es diese Sache mit dem Anfassen. Ich kann es nicht leiden, wenn ich Menschen anfassen muss. Wer sich jetzt fragt, wie ich zu den Kindern gekommen bin, den kann ich beruhigen. Meinen Mann zum Beispiel, den habe ich mir sehr genau ausgesucht. Der fasst mich auch nicht einfach so an und vor allem lebt er völlig wertfrei damit, wenn er mich wochenlang kaum berühren darf. Was wiederum zur Folge hat, dass ich ihn, wenn ich den Zeitpunkt frei bestimmten darf, dann doch eines Tages kuscheln kann. Oder eben fast jeden Tag. Weil dieser Kerl wirklich sehr geduldig ist.
I’m Trouble
Eine Frage, die ich mir nie gestellt habe ist, was passieren müsste, um diese Abneigung außer Kraft zu setzen. Denn obwohl meine Kinder mich nahezu immer anfassen dürfen und ich damit auch ziemlich entspannt bin: Sogar für meine über alles geliebten Kinder gibt es Zeiten, in denen ich um Raum und Anfass-Auszeit bitte. Also war für mich eigentlich klar: Ausnahmen gibt es nicht. Punkt.
Für andere Leute scheint das nicht zu gelten. Wir scheinen an diesem Punkt zu sein, von dem ich sprach: Ich wähnte mich sicher. Glaubte, gerade nahestehende Personen hätten die Sache begriffen. Dachte, ich hätte oft genug um Verständnis geworben, dafür, dass es mich körperlich wirklich schüttelt, wenn ich zu Umarmungen genötigt werde. Ich habe mir gefühlt den Mund fusselig geredet, um zu erklären, dass ich nicht an Empathiemangel leide, nur weil ich weinende Menschen nicht sofort umarme. Und nein, mein Hand-Tätscheln ist keine Ironie, sondern das Maximum an Berührung, zu den ich in so einer Situation fähig bin. Wirklich, ich dachte, meine Umwelt wüsste das inzwischen. Tjanun. Nein.
Denn eine mir ziemlich nahestehende Person hat schlechte Nachrichten bekommen und kämpft hart damit. Darüber scheint sie meine persönlichen No-Gos völlig ausgeblendet zu haben. Und auf mein ehrlich gemeintes Hilfsangebot geantwortet, ich solle bitte keine Fakten mehr aufzählen und auch nicht immer die positiven Seiten betonen. Sondern sie anlügen, ihr nur sagen, dass alles gut wird und sie bitte umarmen, sie müsse sich ausweinen.
Innerlich versteinert
Ich bin innerlich versteinert. Im Ernst. Und eigentlich bin ich ziemlich stolz auf mich, dass ich genau nachgefragt habe: „Dein Wunsch ist Lüge und Anfassen?“ (In diesem Fall war es sicher gut, dass die betreffende Person so mit sich selbst beschäftigt war, sonst hätte sie ein ziemlich verwirrtes Stadteichhörnchen mit schreckensgeweiteten Glubschaugen erblickt). Die Antwort war übrigens ein „Ja.“ inklusive Verweis auf die enge Beziehung. Ich muss nochmal stolz auf mich sein, denn ich habe darauf geantwortet, dass keiner das Recht hat, egal wie nahe er mir ist, SOWAS verrücktes von mir zu verlangen. An der Stelle allerdings habe ich mich austricksen lassen. Denn aus der Forderung wurde schnell eine Bitte. Weil. Und sowieso.
Und da wollte ich auch nicht blöd dastehen. Oder den Vorwurf mangelnder Empathie bestätigen. Ich hatte ja Hilfe angeboten. Dann muss man da auch seine Frau stehen, dachte ich mir. Während mir ziemlich übel wurde, weil die erste Zwangsumarmung eines weinenden Häuflein Elends anstand. Ich gebe zu, wäre ich im Vollbesitz meiner Kräfte gewesen, hätte ich noch besser verteidigt. Bestimmt. Aber ich war es eben nicht und es ist super schwer, wenn ausgerechnet so nahe Personen einen so in Zugzwang bringen. Ich bin immer noch irgendwas zwischen schockiert und amüsiert. Ich fühle mich mit jedem Mal, das ich die Person umarmen muss mehr, als wollte ich echt dringend duschen. Und ich ärgere mich furchtbar, dass ich nicht im Stande bin, meine Grenzen hier zu verteidigen. Denn ich weiß, dass diese Person sich von mir Hilfe erhofft. Aber ich soll nur sagen, was Mut macht. Darf nicht fragen, was ich für wichtig halte. Kurz: Ich habe jetzt ein Skript. Und spätestens wenn ich abweiche, fließen Tränen.
Tatsächlich tut mir die Situation schon leid. Bloß: Schuld bin ich weder an den schlechten Nachrichten noch an der Tatsache, dass diese Person denkt, sie könne diese verrückten Hilfestellungen nur von mir verlangen. Kann sie nämlich nicht. Und dieses Theater das ich für sie aufführe widert mich wirklich an. Es macht auch, dass ich sehr schweigsam bin. Ist natürlich auch nicht richtig. Klare Sache. Aber genau erklären, wie sehr ich meine Grenzen in dieser erpresserischen Bitte um Umarmungen überschreite, das kann ich aktuell auch nicht. Schlicht und einfach, weil keine Sau gerade MEINE Grenzen interessiert. Verständlich. Da hat jemand schwer mit sich selbst zu tun. Nur: Ich jetzt eben auch. Ich muss auf mich aufpassen. Da kann ich niemanden drum bitten. Das muss ich für mich und meine Familie ganz alleine machen. Und wenn ich das konsequent täte, dann würde ich sagen: „Nein. Vieles kann ich für dich tun. Aber ich werde weder lügen noch umarmen. Ich kann andere Sichtweisen bieten. Ich kann Lösungen finden. Und ich füttere auch deine Katzen, wenn es sein muss. Bis dahin will ich aber nicht angeweint werden. Ich lenke dich gerne ab, aber ich will dir weder körperlich noch seelisch in dieses Tal folgen.“
Eigene Grenzen
Das klingt in den Ohren dessen, der um Hilfe bittet hart und gemein. Deswegen kommt es mir auch nicht genau so über die Lippen. Stattdessen habe ich jetzt einfach auch ein Problem, die Person ist mit schlechten Nachrichten nicht mehr alleine und für meine Familie bleiben weniger Berührungs- und Geduldsressourcen. Fair ist das nicht. Schön ist das nicht. Aber manchmal scheint es so sein zu müssen. Bis entweder ich explodiere oder was Anderes. Denn dauerhaft ist das keine Lösung. Irgendwann muss ich den Arsch in der Hose finden. Weil alles andere genauso fies wäre, wie sich die deutlichen Worte in diesem Moment anhören würden.
Kompliziert, oder? Kompliziert. Aber ich verrate Euch was: Mir fällt schon was ein. Versprochen. Manchmal ist es einfach kacke mit diesen eigenen Grenzen. Aber ich lerne. Jeden Tag neu. Und morgen werde ich es schon besser machen als heute. Und überhaupt: Solange ich abends noch schlafende Kinderklebemünder knutschen kann, ist alles gut. Jetzt muss nur noch Abend werden…
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