Gewittermorgen

Kennt ihr diese Tage, an denen einem die Zeit leicht vorkommt? An denen man barfuß über den Feldweg läuft, der von der Frühlingssonne erwärmt ist? An dem die Luft nach Blumen duftet und jedes Zungenschnalzen nach Erdbeereis schmeckt?

Genau so ein Tag war dieser hier nicht.

Ich war schon gestresst wach geworden. Müde von einer Nacht, die diesen Namen nicht verdient hatte und angestrengt beim bloßen Gedanken an den Tag, der hinter der Schlafzimmertür wartete. Die unerträgliche Gewissheit, dass mich ein früher Morgen mit dem Anzieh- und Badezimmerstress mit den Kindern erwartete, ein Abhetzen auf dem Weg zu Tagesmutter und Kita, ein garantiertes Zu-spät-Kommen zum ersten Termin und ein ständiges Hin-und-Her-Fahren zwischen Arbeit, Betreuung, Zuhause, Arbeit, Besorgungen, Kinder, und was sich eben so ergeben würde, schnürte mir schon die Kehle zu. Ich war keine 3 Minuten wach, da war schon passiert, was ich doch so unbedingt vermeiden wollte: Stress. Bis jetzt nur in meinem Kopf.

Es dauerte nicht lange, da hatte sich der gefühlte innere Stress auf meine äußere Umwelt übertragen. Streit beim Zähneputzen, beim Anziehen, Diskussionen über den Brotbelag und die Tagesgestaltung. Streit über Kleinigkeiten, Tränen, Überreagieren, Gebrüll. Das Meiste davon auf meiner Seite. Immer wieder schlich ich am Ganzkörperspiegel im Flur entlang und schaute mir selbst ins Gesicht. „Willst du das?“, fragte ich mich selbst. „So sein?“

Das Tier in mir erwacht: wenn ich im Stress bin, brülle ich rum.

Das Tier in mir erwacht: wenn ich im Stress bin, brülle ich rum.

Willst du das?

Ein paar mal konnte ich mich gut ignorieren, ein paar mal den Gedanken einfach hinfort wischen. Doch schlussendlich geschah, was immer geschieht, wenn ich mich in meinem eigenen Kopf, eingeschlossen mit mir selber, auch noch anfange, selbst zu kritisieren: beim nächsten vorbeilatschen am Spiegel wollte ich vor Wut am liebsten rein schlagen, um mich treten, die Tür knallen und meine Hand mit voller Wucht gegen irgendeine Wand hauen.

Bubba Ray hatte die Anspannung längst gespürt. Er schnauzte mich an, dass ich unfreundlich und gemein sei, haute mit seiner Hand gegen mein Bein, suchte Streit. Zumindest fühlte es sich so an. Jede noch so kleine Bemerkung trieb mich an, noch lauter zu keifen und noch weniger Kompromisse zu machen. Eine Stunde später hatten wir uns erfolgreich auseinander gestritten und waren verteilt; auf Tagesmutter, Kita und Arbeit. Jeder von uns an einer anderen Adresse.

 

Und ich war entspannt.

Wisst ihr, ich habe derartige Texte schon zuhauf geschrieben. Über meine Wut, über die Herausforderung mit hochsensiblem Kind, als selbst hochsensible Mutter, über die Anstrengung und Erschöpfung, über die Fremdbestimmung, über die unendliche Müdigkeit. Ich schrieb über all diese schweren Tage und die vielen nicht immer positiven Gefühle an eben solchen. Den Nicht-Erdbeereis-Tagen. Ich bereue keinen einzigen.

Doch während ich, endlich bei der Arbeit angekommen, so da saß um meinen Tee zu trinken, feststellte, dass meine Kinder nun von mir getrennt waren und ich nicht mal ein schlechtes Gewissen hatte, fiel mir auch zum ersten Mal auf, dass sich etwas geändert hatte, seit diesen letzten Texten.

Wenige Stunden vor dem Tee hatte ich mich nämlich auch entschuldigt. Ich hatte erklärt, warum ich motze. Ich hatte meine Kinder angeherrscht, mich jetzt mal kurz nicht anzusprechen, weil ich absolut keine Geräusche ertragen könnte. Ich hatte NICHT mit der Hand irgendwo gegen geschlagen, die Tür geknallt oder ein Kind zu grob angefasst. Ich hatte gemotzt und schlechte Laune verbreitet, war unfair und übermüdet. Ich war eine erschöpfte Mutter. Aber ich hatte auch meine eigenen Regeln befolgt.

Ich hatte meine Gefühle kommuniziert und nicht direkt eine Alternative gehabt, geschweige denn verlangt, sofort eine haben zu müssen. Ich hatte meine Anspannung ausgedrückt aber keine Zeit und Chance gehabt, etwas dagegen zu tun. Ich hatte meine Kinder ungerecht behandelt und dafür Hauen und Beschwerden von ihrer Seite empfangen. Und das war alles total okay.

Okay so, wie ich bin. Okay so, wie wir waren – auch, wenn wir nicht in unserer vollen Kraft waren.

 

Das klärende Gewitter

Kennt ihr diese Tage, an denen Elektrizität in der Luft liegt und einem unweigerlich die Haare zu Berge stehen? An denen die beißende Hitze jeden Gang erschwert und die prickelnde Schwüle der Luft nur noch der Sommerregen hinfort waschen kann? Jene Tage, an denen man im Sitzen schwitzt und sehnsüchtig auf das kühlende Gewitter wartet, das die Luft klärt, bei dem man die Fenster aufreißt, das endlich Erleichterung bringt und die Schwere des Tages mit sich reißt?

Ja, genau so ein Tag war das hier.

 

Gewittermorgen.

Gewittermorgen.

 

Ich setzte die Teetasse wieder an und erinnerte mich an den Moment, als ich meine Kinder an ihrer jeweiligen Adresse ablieferte und sie besonders lang umarmt hatte. An denen ich mir nach diesem hässlichen Gezetere heute morgen nicht mit Selbstvorwürfen in den Ohren lag, sondern noch einmal an ihren Haaren gerochen hatte. In diesen kleinen Momenten, in denen ich ihre weiche Haut küsste, sah ich ihnen in die Augen, um Ihnen zu sagen, dass ich sie wirklich dolle lieb habe. Ohne den Zusatz, dass ich mich bessern würde. Schließlich wusste ich längst, dass ich meinen eigenen Anspruch nie würde erreichen können.

 

Nicht perfekt, aber total okay.

Ich dachte an diese kleinen Augenblicke, die vielleicht nicht perfekt waren aber ganz sicher total okay, genau so, wie sie waren. Ich hatte mich daneben benommen – meine Kinder aber auch. Wer zuerst angefangen und wer in Reaktion auf wen gemeckert hatte… spielte das überhaupt eine Rolle? Der Punkt ist doch: dein Kind weiß, wer du wirklich bist. Daran glaube ich ganz fest. Genau deshalb dürfen wir Fehler machen, für die wir uns entschuldigen. Das ist der Grund, wieso wir mal nicht in unserer Kraft sein und an einem Gewittermorgen nur darauf warten wollen dürfen, dass es einen kühlen Sommerregen und ein lautes Donnergrollen gibt, das die Luft klärt und diese knisternde Anspannung endlich nimmt. Kinder wollen gar kein perfekt. Ich vertraue darauf, dass an Tagen nach kurzen Nächten und mit einer langen To do Liste dieses „Total okay“ reichen darf. Denn genau so möchte ich von meinen Kindern wahr genommen werden: als Mensch, der manchmal einfach scheisse baut, rum zetert und sich entschuldigt, sobald er kann. Und ganz bestimmt nicht als perfekt.

Als der Tee fast alle und meine Vorwurfsfreien Gedanken zuende gedacht waren, stand ich auf, riss die Fenster auf und ließ einfach nur die frische Luft hinein. Nach einem Gewittermorgen wie diesem konnte ich das nämlich wirklich gut gebrauchen.

 

 

 

*Bilder: www.pixabay.com

2 Antworten

  1. Lieben Dank dir, es hilft ungemein sowas zu lesen…ich glaube auch, dass Kinder sehr viel verzeihen, denn wir tun das ja auch. und unterm Strich ist as, was zählt, dass man füreinander da ist und aneinander lernt. Und dann auch mal sich entschuldigt. Danke dir, heute werde ich also mal nicht den ganzen Tag das schlechte Gewissen mit mir rumtragen, weil ich ungeduldig war. Himmel, ich hätte nie gedacht, dass es so schwierig ist Kinder „gr0ßzuziehen“…ganz lieben Dank, Sabrina

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert