Auf Besuch mit unerzogenen Kindern – 3 Tipps, wie es ohne Regeln klappt 

Vielleicht geht’s euch ja manchmal wie mir. Ihr seid eingeladen, irgendwo bei jemandem, der mit seinen eigenen Kindern, Enkelkindern oder Besuchskindern so ganz anders umgeht, als ihr selbst es tut. Das kann verschiedenes sein; der allgemeine Umgang, oder es werden gewisse „Benimm“-Regeln erwartet oder oder. Speziell beim Thema „Erziehung“, oder, konkreter gesagt bei uns ja der Verzicht darauf, führt das oft zu deutlichen Unterschieden. So schwer ich mich tue, unserer Lebensweise den Stempel „unerzogen“ zu verpassen, so wahr ist es dennoch, wenn man sich das reine Wort zu Gemüte führt. Tatsächlich wirken meine Kinder sicher sehr oft ganz genau so auf andere Menschen: als völlig unerzogen. Es ist diese Eigenschaft, die sie wirklich sehr frei und unbeschwert macht – und das meine ich keinesfalls wertend á la „erzogene Kinder können nie frei sein“. Wohl aber begrenzt und beschränkt, was die Sache an sich ja nun mal faktisch eben einfach so mit sich bringt. Wer als Eltern Grenzen setzt, wird damit leben müssen, dass Kinder an diese stoßen wie an einen (begrenzenden) Zaun. Ich wiederum weiß genau, dass meine Kinder eine aktive Begrenzung meinerseits nicht kennen. Und stelle mich bei jeder Einladung, die wir bekommen, schon gedanklich darauf ein.

Ausflüge ohne Erziehung? Diese Situationen trieben mir mal den Schweiß auf die Stirn

Tatsächlich kann es sogar passieren, dass ich mich Tage vorher gestresst fühle, wenn ich an unseren bevorstehenden Ausflug denke. Wenn der eben angesprochene, so völlig unterschiedliche Umgang mit Kindern im konkreten Fall zum Beispiel „strenge“ oder „konsequente Erziehung“ bedeutet, dann weiß ich, dass mögliche Spannungen und Reibungen anstehen. Um zu verdeutlichen was genau daran so stressig und für mich anspannend sein kann, möchte ich mal auf ein paar Situation etwas detaillierter eingehen.

Punkt eins: Spielen im Haus des Anderen

In unserem Zuhause gibt es keinen Ort, an dem Kinder spielen dürfen bzw. es unterlassen sollen. Sie dürfen sich in jedem Raum frei fühlen, spielen, leben. Es gibt gewisse Strukturen für die gemeinsamen Räume und auch einige wenige Regeln, deren Nichteinhaltung allerdings nicht zu Strafe oder Konsequenz führt, sondern lediglich zu einem Gespräch. Beispielsweise funktionieren meine (Klein!)Kinder unser Sofa gern zum Toben um. Dafür schmeißen sie alle Kissen runter (was sehr klug ist, da ein runterfallen dann nicht mit Kopfprellung auf Laminat sondern mit weichem Aufprall auf Sofakissen verbunden ist) und rennen von einer Seite zur anderen. Für mich ist das okay. Ich weiß, dass das Sofa für viele ein Ort der Erholung und des Kuschelns ist und das automatisch das Toben scheinbar ausschließt. Für uns, also für meine Familie und unser Zuhause, gibt es nicht diese Trennung und das funktioniert ganz wunderbar.

Es wird hier genau so häufig getobt wie gekuschelt, Bubba Ray schläft mittags grundsätzlich hier – kein Problem für niemanden. Die einzige „Regel“, die eigentlich eher eine Bitte ist, ist, das Chaos anschließend zu beseitigen. Und weil das mein Bedürfnis nach Ordnung ist und nicht ihres, helfe ich mit. Es ist eher ein Kompromiss als eine starre Regel, an der es nichts zu rütteln gibt.
Meine Kinder kommen nun also an einen neuen Ort, an dem ein Sofa steht und – ja, ganz genau – fangen vermutlich an, darauf herum zu toben.

 

Auf Besuch mit unerzogenen Kindern - geht das?

Auf Besuch mit unerzogenen Kindern – wie soll das gehen?

 

Punkt 2: gemeinsames Essen

Noch nie in ihrem Leben haben meine Kinder etwas essen oder trinken müssen, wenn sie es nicht wollten. Ich bin nicht der Meinung, dass bestimmte Mahlzeiten wer weiß wie viel wichtiger sind als andere und dass sie eingenommen werden müssen. Gleiches gilt für bestimmte Nahrungsmittel an sich: was für meine Kinder komisch aussieht, riecht oder sich „eklig“ anfühlt, müssen sie sich nicht in den Mund stecken und schon gar nicht runter schlucken – auch nicht, das schicke ich hier schon mal vorweg, wenn unsere Gastgeber sich damit sehr viel Mühe gemacht haben.
Zuhause muss niemand länger sitzen bleiben, als er kann und will. Und es wird auch nicht gefragt ob man aufstehen darf. Und es wird während des Essens gespielt, geredet, gelesen und getrunken. Diesen Punkt finde ich besonders spannend, denn: meine Kinder wissen (!), dass mir die eine gemeinsame Mahlzeit am Tag mit allen wirklich unerlässlich wichtig ist und dass ich unbedingt möchte, dass wir abends einmal alle zusammen an den Tisch kommen. Noch nie habe ich das mit Druck, Erziehung oder gar Gewalt durchsetzen müssen – sie tun es einfach! Und bleiben dort ruhig und harmonisch sitzen, so lang es eben geht. Bubba erzählt vom Tag, Dee probiert von jedem Teller etwas. Er bleibt zum Beispiel immer länger sitzen als Bubba, der nie ein großer Esser war. Darüber hinaus akzeptieren sie praktisch ohne, dass wir je darüber gesprochen hätten, dass mein Mann und ich länger sitzen bleiben möchten als sie und beschäftigen sich selbst, bis wir fertig sind. Nein, das klappt natürlich NICHT jeden Abend so, ist doch klar! Manchmal sind auch meine Kinder einfach durch, müde, schlecht drauf, wollen das neue Spielzeug unbedingt mit mir ausprobieren, mögen das Essen nicht, wollen eigentlich viel lieber was anderes tun. Für diese Fälle gibt es keine Konsequenz, keine Strafe, keine Regeln. Wir entscheiden nach Bauchgefühl, eigener Kraftressourcen und ehrlich gesagt Laune. Tja und manchmal essen Kinder dann eben Stullen auf die Hand, ihr Müsli auf dem Boden oder unter dem Tisch oder – ich geb es zu – Fernsehen schauend auf der Couch.
Wir sind nun also irgendwo eingeladen, besuchen jemanden innerhalb seiner vier Wände, essen gemeinsam. Bleiben meine Kinder sitzen? Essen sie mit? Und wie geht’s mir dabei?

Punkt 3: Höflichkeitsfloskeln

Ich bin sehr sehr höflich zu meinen Kindern und bestrafe mich selbst innerlich sehr lang, wenn ich es nicht bin. In meinem Leben spielte Höflichkeit schon immer eine zentrale Rolle. Meine Mutter hat mir Frechsein verboten, einmal kassierte ich dafür eine Ohrfeige. Außerdem habe ich viele Jahre in der Gastronomie und Dienstleistung gearbeitet, wo Höflichkeit ein Qualitätsmerkmal ist. Für mich ist „Bitte“, „Danke“, „Entschuldigung“, „Bist du so lieb“ oder Satzendungen wie „Was hältst du davon?“, „Was meinst du?“ Oder „Sollen wir das so machen?“ Nach einem Vorschlag nicht mehr wegzudenken. Und so spreche ich auch mit meinen Kindern.
Was ich auch sage ist, dass sie mit niemandem sprechen müssen, mit dem sie nicht sprechen wollen, dass sie niemanden umarmen, küssen oder sonstwas müssen, wenn sie es nicht wollen! Wenn sie ein Geschenk vom Gastgeber erhalten, bedanke ich mich höflich bei ihm, ich lächle und freue mich. Wenn D-Von ein Spielzeug zerstört, dann entschuldige ich mich und witzele über unsere gute Versicherung. Wenn Bubba Ray jemandem sagt, dass er ihn nicht einfach anfassen soll, dann erkläre ich ruhig, sachlich aber deutlich, dass er das hasst und dass er weiß, dass er das nicht aushalten muss.
Meine Kinder nutzen bei unserem Besuch anderswo nun aber fremdes Spielzeug, tollen herum, verabschieden sich irgendwann. Wie geht das alles ohne Höflichkeitserziehung?

Unerzogen außerhalb der eigenen vier Wände.

Für mich als Mutter und Mensch gibt es die Diskussion „Erziehung – ja oder nein?“ schon lange nicht mehr. Ich kokettiere damit, dass ich verlernt habe zu erziehen. Besonders deutlich, wie sehr das wirklich der Fall ist, wird es mir bei unseren Ausflügen außerhalb unserer vier Wände und noch deutlicher, wenn dieser noch zusätzlich außerhalb meiner Bubble liegt. Also kurz gesagt: wenn wir, die bedürfnisorientierten Eltern, die auf Erziehung bewusst verzichten, auf Familien treffen, denen Kindeserziehung ein wichtiges Gut ist.
Ich könnte nun natürlich für meine Kinder und diese Besuche Regeln aufstellen und hin und wieder kriegt man derartige Vorschläge auch, mit der Begründung, man müsse sie schließlich auf die Welt und auf Regeln darin vorbereiten.
Da ich mich selbst mit Regeln aber wahnsinnig unwohl fühle und maximal eingeschränkt, sieht das bei uns anders aus. Meine Kinder zu erziehen, selbst für diese Ausnahmesituationen, wäre nicht authentisch und würde nur Probleme mit sich bringen. Und mittlerweile habe ich mir selbst bewiesen, dass Besuche bei anderen, selbst wenn sie konsequent, streng oder überhaupt erziehen, kein Stress bedeuten muss, nicht zu Reibereien und auch nicht zu Gräben führen müssen.
Hier kommen nun also unsere Methoden und damit Tipps für euch, knifflige Situationen ohne Erziehung zu lösen:

Punkt 1: Rücksichtnahme vormachen, erklären und Spielräume aushandeln

Meine Kinder erkunden die neue Umgebung, testen die Spielsachen, orientieren sich. Sie beginnen zu spielen. Unsere Gastgeberin kommt hinzu, verteilt Kekse. Meine Kinder greifen zu und fast automatisch springt Bubba, der sich wohl fühlt, anschließend auf das Sofa. Ein großes, ausladendes Ecksofa. Er rennt von der einen Ecke zur anderen.
Ich bin sofort da und halte ihn auf. Er sieht mich mit großen Augen an – was soll das denn? Ein Verbot? Warum? Das ist doch sonst nie ein Problem?
Richtig, das weiß ich auch. Ich knie mich zu ihm hinunter und erkläre, dass das hier ja nicht unser Zuhause und unser Sofa ist und dass unsere Gastgeber das bestimmt nicht so toll finden, dass er darauf herum läuft. Er fragt mich, warum und ich antworte, dass viele Leute ihr Sofa nur zum kuscheln und nie zum Toben nutzen und dass das natürlich völlig okay ist – und wir das akzeptieren müssen, weil es eben nicht uns gehört. Ich biete ihm an, im Garten zu rennen oder mit mir einen Schoßreiter zu spielen, um Energie abzubauen. Dazu hat er keine Lust. Und doch: er springt vom Sofa herunter und spielt weiter mit dem Kaufmannsladen. Beim nächsten Keks setzt er sich aufs Sofa – tobt aber nicht mehr.

Punkt zwei: Zusammenkommen, achtsam beisammen sein und essen – so lang es eben geht

Wie ich bereits oben beschrieb, müssen meine Kinder niemals essen, was sie nicht essen wollen. Auch nicht außerhalb! Ich für mich selbst entscheide das natürlich auch mal anders, zum Beispiel aus Respekt vor meinem Gegenüber. Wenn jemand für mich den ersten veganen Kuchen seines Lebens gebacken hat, nur um mir eine Freude zu machen, dann esse ich ihn, auch wenn Rosinen drin sind, die ich nicht so gern mag. Meine Kinder? Nein. Die nicht. Weder aus Höflichkeit noch aus anderen Gründen. Und hier bin ich kompromisslos, denn alles andere kriege ich ethisch nicht mit mir vereinbart.
Worum ich sie jedoch trotzdem bitte, ist, dass sie sich kurz mit uns hinsetzen, so wie eben Zuhause auch und das klappt immer gut. Der Wert, um den ich sie bitte und den ich vorlebe, heißt Achtsamkeit und Respekt gegenüber unseren Mitmenschen und das fällt ihnen gar nicht schwer! Schließlich kommen wir nach einer langen Autofahrt nicht an und zwingen sie direkt am Tisch still zu sitzen, sondern sie toben sich erstmal aus. Dann kommt auch Appetit und das Sitzen am Tisch fällt gleich viel leichter.
Wenn der Gastgeber spielen am Tisch nicht erlaubt und nicht mag, dann wird das in den allermeisten Fällen besprochen. Allerdings dürfen meine Kinder dann auch zügig den Tisch verlassen, wenn sie dringend spielen und gar nicht essen wollen – das nennt man dann wohl Kompromiss. Denn andersherum missachte ich ja auch nicht die Wünsche oder Regeln des Anderen. Nicht hier, aber auch nicht, wenn jemand zu Besuch bei uns ist.

Punkt 3: Wie Kinder ohne Höflichkeitserziehung höflich werden

Ein Kind nicht zu erziehen und es andere Menschen uneingeschränkt aushalten zu lassen, empfinde ich ganz persönlich fast so, als würde man die Haufen seines Hundes nicht vom Gehsteig entfernen. Mein Hund muss dringend, was ich respektiere und selbstverständlich weder verbiete noch großartig verhindern könnte. Deswegen aber selbst zu ignorieren, dass jemand anderes rein treten, sich fürchterlich ekeln und ärgern könnte, finde ich nicht sonderlich liebenswert. In über 20 Jahren Zusammenleben mit Hunden hab ich nicht einen Haufen auf öffentlichen Gehsteigen oder Spielflächen liegen lassen. Nie.
Und hier ist der Vergleich zu dem Verzicht auf Höflichkeitserziehung: ich verzichte darauf – nicht aber, meinen Kindern vorzumachen, was ich unter Höflichkeit verstehe. Ich lasse nicht unsere Umwelt aushalten, dass sie unhöflich, ruppig, frech oder gemein sind! Kleinkindern rutscht das raus, vor allem, wenn es dafür keine gemeinen Konsequenzen gibt! Allerdings mache ich die Sauerei dann weg, um beim Hundehaufen-Beispiel zu bleiben. ICH erkläre mich und sie. ICH entschuldige mich. ICH bedanke mich. Manchmal auch für meine Kinder, zum Beispiel wenn sie etwas zu „görig“ gebrüllt haben, dass sie nicht angefasst werden wollen. Was ich Ihnen nie verbiete.
Bei jedem Besuch woanders biete ich an aufzuräumen, zwinge meine Kinder aber nicht dazu. Und wenn Bubba sich wirklich wohl fühlte, sagt er das. Er sagt Dinge wie „Es war schön hier!“ oder auch „Mama, ich hab mich wohl gefühlt“ und ihr könnt euch vorstellen, welch Anerkennung das für den Gastgeber ist! Ein Kompliment, das aus Bubba selbst kommt, ohne dass ich ihn dazu angehalten habe! Ein Danke, ohne ein „Wie sagt man?“! Ein „Ich komme gern wieder!“ ohne eine Belehrung.

 

Auf Besuch mit unerzogenen Kindern - wie soll das gehen?

Bubba räumt auf. Manchmal. Meistens aber echt nicht.

 

All das haben meine Kinder nicht von mir. Ich habe es ihnen nicht beigebracht!

Meinen „unerzogenen“ Bubba habe ich nie in seinem Leben dazu angehalten, Bitte oder Danke zu sagen. Es gab nie ein „Wie heißt das?“ Oder ähnliches. Er hat es einfach eines Tages von sich aus gemacht. Mein D-Von ist 1,5 Jahre alt und musste, genau so wenig wie Bubba, niemals seine Sachen teilen. Die Geschwister lernen diese Dinge untereinander und meine Anleitung nehmen sie maximal als Input. Sie haben kapiert, dass Schreien und Prügel nicht zielführend sind und heute reicht es, wenn ich einwerfe, dass sie ja vielleicht auch tauschen könnten und – mein Standardspruch – sich arrangieren müssen. Natürlich gibt es auch andere Tage. Mir ist klar, dass niemand perfekt ist, und dass man eben manchmal auch einfach keine Antwort parat hat.

Besuche in anderen Familien erfüllen mich heute mit Stolz, weil meine Kinder eben so vieles so völlig ohne meine Anleitung können! Es war einfach eines Tages in ihnen oder kam aus ihnen raus. Etwas, was einfach da ist. Das sind sie. Das sind ihre Persönlichkeiten. 

Irgendwann, im Zuge meines eigenen Verlernens (zu erziehen) wurde mir klar, dass Kinder keine unfertigen Geschöpfe sind, die für alles eine Anleitung brauchen und am besten noch eine (letztens erst gelesen und die Hände überm Kopf zusammen geschlagen) „sachgemäße Strafe“ wenn diese nicht stringent befolgt wird. Ich glaube an diese Konstrukte nicht mehr. Und hebe mir Regeln eben für Dinge auf, bei denen sie elementar und nicht verhandelbar sind. Und diese Situationen gibt es oft genug.

Besuche aber sind für Kinder aufregend. Abenteuer! Spannende Erlebnisse! Momente, von denen Erinnerungen bleiben und von denen auch sie lange zehren!

Um mir und ihnen den Stress einer negativen Erinnerung zu ersparen, gibt es für uns eben nur diese zwei Wege: erstens, den Gastgeber nicht verärgern, ihm respektlos entgegentreten oder seine Hütte abreißen. Zweitens: Dialog. Beziehung. Gespräch.

Meine Kinder wollen lernen, wie das geht, andere Leute zu besuchen und Freundschaften zu knüpfen. In andere Familien und Gepflogenheiten zu blicken und sich davon eine Scheibe abzuschneiden. Zu sortieren: was mag ich, was nicht? Was halte ich aus, was nicht? Was passt zu mir, was schränkt mich maßlos ein? Unsere Ausflüge mögen einige Tage vorher für mich eine gedanklich stressige Vorbereitung sein, doch tatsächlich wurde ich bisher immer belohnt. Denn am Ende des Ausflugs konnte ich von glücklichen Kindern zehren und von der eigenen Erfahrung, mit meinen Kindern in Beziehung zu bleiben, selbst wenn gesellschaftliche Normen und Ansichten unser Konstrukt „Familie“ herausfordern. Den eigenen Kindern Vertrauen zu schenken, das stärkt Bindung und führt in den allermeisten Fällen dazu, dass euer Mut belohnt wird.

Und um ganz ehrlich zu sein plädiere ich persönlich auch stark dafür, dass unsere Welt viel mehr „unerzogene“ Kinder lernen muss, auszuhalten.

Also geht vor die Tür und macht euren Kindern einfach vor, wie es geht. Und lasst Erziehungsmuster weg.


Wie klappen Ausflüge bei euch?

Was stresst euch am meisten?

Habt ihr vor bestimmten Situationen Angst?

Was klappt bei euren Kindern besonders gut?

Und wie löst ihr ähnliche Situationen?

20 Antworten

  1. Schön geschrieben 🙂 uns geht es ähnlich. Meist sage ich zu den Leuten, dass sie ihre eigenen Grenzen vermitteln sollen/dürfen. Bei dem Sofabeispiel würde ich dann zum Gastgeber sagen, dass mein Sohn gerne hüpft und wenn das nicht gewollt ist, können sie es ihm gerne sagen. Ich finde es immer hilfreich, wenn jeder seine eigenen Grenzen absteckt, so muß ich auch nicht raten, was gewollt ist und was nicht… Wenn mein Sohn auf so eine Anrede nicht hört dann kommuniziere ich allerdings mit ihm „hast du gehört, was xy gesagt hat? Ich möchte, dass wir die Grenzen der anderen respektieren.“… Was mich immer ratlos macht ist wie ich reagieren kann, wenn andere mein Kind erziehen wollen, zB mit dem berühmten „wie sagt man da?!“ o.ä. und ich finde es (für alle Seiten) immer peinlich, wenn andere Kinder genötigt werden sich bei mir oder meinen Kindern zu „entschuldigen“…

    • Meine Liebe,
      das ist ein sehr schöner Ansatz, und wäre ich dein Gastgeber würde ich mich damit zum Beispiel sehr wohl fühlen. Das probieren wir auch mal 🙂

    • „Ich finde es immer hilfreich, wenn jeder seine eigenen Grenzen absteckt …“ – das verstehe ich gut, denn es entlastet Dich in dem Moment. So gibt es den Konflikt „Ich erziehe nicht“ / „Das Verhalten meines Kindes kollidiert mit den Wünschen und Vorstellungen anderer“ für Dich überhaupt nicht.
      Allerdings: Deligierst Du den Konflikt damit an Deine Umwelt. Die anderen sind dann im Konflikt.
      Ich kenne das sehr gut aus eigener Erfahrung. Dazu kann ich Dir aus meiner Gastgeberrolle heraus antworten: Grenzen ziehen finde ich anstrengend. Es macht mir keinen Spaß. Ich finde es unfair, mein Sofa, meine weißen Wände, mein Klavier vor kleinen Vandalen schützen zu müssen. Während die Mutter Tee trinkend im bequemen Sessel sitzt und entspannt, denn es sind ja meine Grenzen.
      Sehr gut erinnere ich mich an ein Besuchskind, das meine Wohnzimmerwand mit seinen Buntstiften dekorieren wollte. (Zu Hause darf es das.) Obwohl ich die Einstellung zu Erziehung der Mutter kannte, war ich sicher, dass sie reagieren würde. Denn unser Wohnzimmer sah nicht so aus, als sei es gar kein Problem, als Gast den Wänden eine individuelle Note zu geben. Sie tat: nichts. Der Stift in der Kinderhand näherte sich der Wand. Immer noch keine Reaktion. Der Stift berührte die Wand. Der erste Strich. Der zweite. Die Mutter: entspannt. Ich konnte das nicht so richtig glauben, wollte aber das Kind auch nicht mit meiner Reaktion schockieren. Aber die Wände waren frisch gestrichen, das hatte ein bisschen Geld gekostet. Und ich persönlich hänge lieber Bilder auf als direkt auf die Wand zu malen. Ich flog also vom Sofa auf, versuchte meine Emotionen klein zu halten, landete sanft neben dem Kind und erklärte so freundlich, wie es mir möglich war, dass ich das nicht möchte. Das Kind malte weiter. Die Mutter reagierte immer noch nicht. Ich fand es so unfair, in dem Moment alle Verantwortung an mich abzugeben. Meine Wand, meine Grenzen, meine Grenzkontrollen. Dem Kind den Stift aus der Hand nehmen? Mit dem Dreijährigen über unterschiedliche Wohnstile diskutieren? Irgendwann dann doch laut werden, weil es mich verdammt noch mal nervt, dass ich jetzt diese Striche auf der Wand habe?

      Später, als das Kind nicht dabei war, entschuldigte sich die Mutter. Aber nur halb. Denn sie bestand darauf, dass das Kind nicht habe wissen können, dass ich etwas gegen die Wandbemalung hatte. Ich hätte es rechtzeitig darauf hinweisen sollen, nicht erst, als es zu spät war.
      Alles klar. Soll ich einem dreijährigen Gast wirklich beim Betreten meiner Wohnung eine Liste der unerwünschten Verhaltensweisen vorlesen? Viele Aspekte von „Unerzogen“ überzeugen mich.
      Dieser: strengt mich an. Sehr sogar.
      Und ich fände es auch dem Kind gegenüber fair, wenn die Eltern als vertraute Bezugspersonen in solchen Situationen als Schnittstelle zur Umwelt fungierten. Und nicht dem Kind praktisch unbekannte Menschen temporär dann doch so etwas wie Erziehung anwenden müssen, um ihre Wände, ihr Mobiliar, ihren Hund zu schützen.

      • Danke!
        Genau so haben wir uns am Weihnachtsabend gefühlt. Wir sind eine große Familie, ich habe Bruder und Schwester selbst 2 Kinder und sie kommen mit 4 und 3 Kindern zu uns. Außerdem noch die Großeltern, Tanten und Onkel und eigentlich herrscht von Anfang an Trubel und Chaos an so einem Abend – von Besinnlichkeit keine Spur. Aber das wollen wir alle so – zusammen sein.
        Die beiden jüngsten Kinder (Geschwister) sind 4 und 6 Jahre alt – und dürfen zu Hause alles. Von mir aus!
        An so einem Abend mit vielen Menschen finde ich es allerdings wichtig, dass es einige Regeln einzuhalten gilt. Wenn sie schon nicht jedem Einzelnen die Hand zur Begrüßung geben müssen…
        Die Eltern sollten nicht in Ruhe essen- während die Kinder an den Stühlen außen herum klettern oder mit dem Essen herumschmieren (so klein sind sie ja nun wirlich nicht mehr) und den Kindern dabei helfen die Hände nach dem Essen zu waschen bevor man in einem anderen Zuhause Dinge anfasst. Ganz abgesehen von Hygiene empfinde ich auch als eine Art Respekt. Mir ging es gar nicht gut in der Gastgeberrolle – in der ich auch noch unser liebevoll weihnachtlich dekoriertes Zuhause verteidigen musste. Ich war dauergestresst und fühlte mich wie eine Hyäne.
        Wahrscheinlich ist das egoistisch – aber ich finde es wichtig Kindern Werte schätzen beizubringen. Auf der Couch – die vielleicht teuer war und ein paar Jahre halten soll wird eben nicht herumgesprungen – ebenso steht man nicht daneben – wenn mit Spielzeugautos über die neuen Möbel gefahren wird – was letzendlich tatsächlich hässliche Spuren hinterließ.
        Fazit: Das nächste Weihnachten feiern wir draußen im Park ;-).
        Und total traurig:
        Meine 6jährige Nichte drehte sich als sie gingen und ich ihr mit namentlicher Ansprache 2 x „Auf Wiedersehen“ zurief nicht einmal um. Das empfinde ich als persönliche Nichtachtung.

  2. Irgendwie verstehe ich den Text nicht so recht. Du schreibst, dass du deinen Kindern das nicht beigebracht hast – aber wer sonst? Du lebst ihnen das doch täglich vor. Die Höflichkeit, die Rücksichtnahme usw. Und meiner Meinung nach ist ja genau das auch Erziehung! Eigentlich halte ich es mit der Erziehung meines Sohnes in allen Punkten genauso wie du und sehe da gar kein Problem und auch keinen „unerzogenen“ Ansatz. Weil du ja trotzdem wert darauf legst dass deine Kinder verstehen, dass woanders eben nicht zuhause ist. Zum Glück verstehen Kinder das schnell. Sonst wär mir auch öfters unangenehm, vor allem in Haushalten von kinderlosen Freunden. Das sind ja immer die, die sagen „mein Kind wäre niiieee so“ – und sich dann später in genau derselben Situation befinden. ?

    • Liebe Sophie,
      Danke für deinen Kommentar 🙂

      Nein, aktiv beigebracht habe ich es nicht. Beibringen ist beibringen und vorleben ist vorleben – das sind zwei verschiedene Dinge. Meine Kinder gucken sich bei mir ab, wie ich Besuche bei anderen gestalte. Das kann mit meinem Mann ja zum Beispiel wieder ganz anders laufen.

      Das ist ja gerade, was „unerzogen“ ausmacht. Dass sie Werte kennenlernen, die unsere Familie und damit ihre Hauptpflegepersonen ausmachen, aber die Freiheit haben zu entscheiden, ob sie die übernehmen oder nicht. Wie du deine Elternschaft nennen möchtest, ob das für dich jetzt ein unerzogener Ansatz ist oder nicht – das sind nur Begrifflichkeiten. Es geht um das Gefühl und die Einstellung dahinter. Meine Kinder sind mir zum Beispiel nie peinlich. Auch nicht, wenn sie sich in den Augen des anderen daneben benehmen. Es sind einfach Kinder. Dass ich gemeinsam mit Ihnen andere Orte erkunde, die nicht ihr Zuhause sind und mit ihnen zusammen überlege und begleite, wie man sich woanders verhalten könnte, um den Besuch zu genießen und den anderen nicht in seinen Grenzen einzuschränken, das ist Beziehung. Dialog. Zusammenhalt und ziemlich viel Vertrauen – aber keine Erziehung. Ich hab kein Ziel, á la: Meine Kinder sollen sich woanders so und so verhalten oder ich „erwarte“ irgendwas. Wenn Sie ruppig oder unfreundlich sind oder die Grenzen des anderen missachten, dann ist es MEIN Bedürfnis, mich bei unserem Gegenüber zu entschuldigen. Nicht ihres. Ob sie dies eines Tages zu ihrem machen oder nicht, ist ihre Entscheidung. Nicht meine.
      Und ich lenke sie auch nicht dorthin mit irgendwelchen Erziehungsmaßnahmen oder -zielen.

      Und doch. Das macht für mich durchaus einen unerzogenen Ansatz aus. 😉

      Liebe Grüße,
      Kathrin

      • Haha, OK ich habe wohl einfach zu wenige Ratgeber gelesen. 😉 Ehrlich gesagt habe ich weder von Erziehung noch von Nicht-Erziehung eine Ahnung. Ich lasse mein Kind einfach Kind sein, und das in dem Rahmen, in dem es für mich akzeptabel ist. Sprich: bestimmte Dinge versuche ich schon, zu unterbinden oder ab/anzugewöhnen (Hände waschen nach der Kita, Schuhe ausziehen an der Haustür, nicht auf mich drauf springen usw.). Ich kann mein Kind nicht ständig meine persönlichen Grenzen überschreiten lassen, sonst würde ich durchdrehen. Alles was du geschrieben hast, klang für mich nach sehr sinnvoller Erziehung. Wenn ihr es Nicht-Erziehung oder unerzogene Erziehung oder Vorbild sein nennt – von mir aus. 😉 Finde ich trotzdem alles sinnvoll! LG zurück!

  3. Liebe Kathrin, so ein toller Artikel – vielen Dank! Ich würde uns nicht als unerzogen bezeichnen – aber kenne mich da auch nicht ganz genau aus – aber ich mache das außer Haus genauso. ? Ich finde, dass das Vorleben von Rücksichtnahme und Höflichkeit ohnehin viel zielführender ist, als es penetrant einzufordern, aber selber nicht zu tun. Da redet man sich doch den Mund fusselig… 😉 Liebe Grüße, Tina

  4. Das ist ein Text der gerade wie gerufen kommt. Ich merke auch erst nach und nach, wie sehr mich Besuche außerhalb auf die Palme bringen. Und dass all mein Entspannt-Sein mit den Kindern nur in unserm geschützten Rahmen einfach für mich ist. Ich verzweifle ehrlich gesagt schon daran, beide Söhne sauber und mit intakten Klamotten irgendwo hinzuschaffen. Ist quasi unmöglich.
    Langsam aber sicher muss aber auch ich meinem Bulletbüe raus. Das wird spannend ?

  5. ja, du hast es auf den Punkt gebracht… Auch wenn ich am Anfang ab und an mal schluckte, als ich deinen Text las.
    und ich habe weiter gelesen… Gut so… Denn ja du hast es auf den Punkt gebracht:
    es geht um: Achtsamkeit und um Respekt! Achtsamkeit und Respekt mir gegenüber und um Achtsamkeit und Respekt dem anderen gegenüber. Das lernen Kinder, wenn man sie es lernen lässt… wenn sie gute Vorbilder haben mit und an denen sie lernen. Sie lernen es nicht, wenn man an ihnen er-zieht.
    und auch das mit den Regeln hast du gut auf den Punkt gebracht: Regeln sind Richtlinien um sich daran orientieren zu können, und die braucht es überschaubar für die wichtigen Fälle, ansonsten können unsere Kinder durch Erfahrung erfahren werden!

    herzliche Grüße Dagmar, die das mit ihrem Kind (Jg.90) erfolgreich gemeistert hat ❄️? .

  6. Vielen Dank für diesen tollen Artikel!Wir hatten auch letztens so einen Besuch bei Freunden, wo ich quasi am Gesicht des Gastgebers ablesen konnte, was er über das Verhalten von unserem Sohn dachte. 😉 Auch bei uns ist es so, dass er beim Essen nicht am Tisch sitzen bleiben muss, weder, wenn er noch isst noch wenn er fertig ist 😉 Er ist etwas über 2 Jahre alt. Als wir nun bei unseren Freunden ankamen, gab es ziemlich bald Mittag essen, mein Sohn fand aber alles viel zu aufregend und spannend, um sich aufs Essen zu konzentrieren. Obwohl es Kartoffeln gab, die er sehr mag (er isst noch nicht wirklich viele verschiedene Sachen), spuckte er die Kartoffel direkt wieder aus und stand vom Tisch auf 😉 Für uns völlig ok, ich wusste,er würde eben später was essen. Aber die Blicke unserer Freunde zeigten, dass sie das nicht verstanden. Sie haben eine Tochter im Alter von 5 Jahren, die meiner Meinung nach sehr angepasst ist, als wir später auf dem Spielplatz waren und sie während des Schaukelns nur kurz ihre Mütze absetzte und fragte, ob sie sie ablassen könnte, kam gleich eine ‚Setz die Mütze wieder auf oder willst Du hier bei uns stehen‘-Drohung und ich habe nur geschluckt, denn sie hätte die Mütze sicherlich auch einfach wieder aufgesetzt, wenn man freundlich gesagt hätte: Es ist zu kalt, lass doch die Mütze lieber auf oder so ähnlich. Dann kamen bei unseren Freunden solche Fragen wie: ‚Er schläft doch jetzt schon lange durch?‘ Nein, er hat noch nie durchgeschlafen…oder ‚er isst doch jetzt alles?‘, das ist ja leider etwas, was mein Mann auch selber stört, der dann auch noch antwortet: Nein, er isst fast nichts‘ , wobei das ja einfach von Kind zu Kind so unterschiedlich ist und auch nichts mit ‚Erziehung‘ zu tun hat.
    Das mit der Couch haben wir auch, unser Sohn springt allerdings immer auf der Couch 😉 Früher als ich selbst noch kein Kind hatte und Kinder bei uns zu Besuch waren, die auf unserer Couch gehüpft sind, habe ich auch immer gedacht: Muss das denn sein, wieso erlauben die das denn ihren Kinden usw. 😉 Mittlerweile ist es so, dass wenn unser Sohn auf einer Couch woanders hüpfen möchte, ich ihm schon sage: XY möchte das nicht, bei uns zu Hause kannst Du das gerne machen. Finde ich authentischer, als zu sagen, ICH möchte das nicht.
    Zu dem Thema ‚Bitte, Danke und Entschuldigung‘: Wir leben es unserem Sohn vor, indem wir ‚Bitte; Danke und Entschuldigung in den entsprechenden Situationen sagen und er wendet es auch an, ohne dass ich jemals zu ihm sagen musste: ‚Wie sagt man‘ o.ä. Es ist so süß, ich halte ihm z.b. die Tür auf, er läuft durch und sagt : Danke! Letztens hat er mit meiner Mutter gespielt, und sie erzählt mir später, sie wären mit den Köpfen zusammengestoßen und er hätte ‚Tschuldigung‘ gesagt! 🙂
    Auch für mich ist es manchmal vorher stressig, wenn ich weiß, wir sind irgendwo eingeladen und ich weiß, wir werden eben komisch angesehen, weil die ‚Erziehungsstile‘ so unterschiedlich sind. Aber eigentlich sollte man sich nicht so dadurch stressen lassen, nur weil man einen anderen Weg geht als die meisten anderen.
    Liebe Grüße
    Judith

  7. Liebe Kathrin,
    Ich habe so langsam meinen Nenner gefunden. Und mit dem Feinde ich es sehr leicht, einen Weg zu vermitteln. Es geht mir darum, dass sie empathisch sind. Das ist das einzige Instrumentarium. Wenn man empathisch ist, respektiert man die Grenzen anderer. Auf unserem. Adolfs darf man hüpfen. Auf dem vom Besuch nicht, weil dieser sich nicht wohl damit fühlt, weil dieser das nicht mag. Der Respekt meines Gegenübers bestimmt die Neins. Natürlich geht das nicht so weit, dass man sich anfassen lassen muss. Natürlich nicht. Es überschreitet aber auch keine Grenze der Tante, wenn sie meine Kinder nicht knutschen darf. Grenzen werden gewahrt. Das ist der Punkt, den meine Kinder verstehen, weil sie ihn erleben. Meibecafreiheit hört da auf, wo die A Freiheit des anderen anfängt. Ich sage meinen Kindern, wenn sie etwas geschenkt bekommen, und sie freuen sich darüber, können Sie danke sagen. Aber ich halte die nicht dazu an.

    Mir ist Höflichkeit enorm wichtig. Ich möchte nicht im Befehlston angesprochen werden. Das stört meine Integrität. Ich halte es für authentisch und mein Recht, das zu zeigen, und ich sehe, wie meine Kinder kommunizieren. Ist es Erziehung? Keine Ahnung.

    Ich finde, jeder hat ein Recht auf seinen Schutzraum (positive politeness), d. h. dass seine Grenzen respektiert werden. Ich möchte nicht geschlagen werden, das tut weh, und hauen, boxen etc gibt es bei uns nicht. Meine Kinder schreien laut, sie stampfen, brüllen, aber sie tun anderen nicht weh. Weil sie lernen, sich in den anderen hineinzuversetzen.

    Und jeder Mensch hat ein angeborenes Bedürfnis nach Wertschätzung und Anerkennung (positive politeness). Angesprochen zu werden mit Namen, Zuhör-Signale, alles, was zeigt: Ich sehe Dich! gehört dazu. Ich lebe das. Ist das Erziehung? Keine Ahnung.

    Dass man bei anderen nicht an die Fensterscheibe fassen darf, ist blöd, läuft aber unter „Ich nehme Rücksicht auf ihn“. Wollen meine Kinder, dass jemand was mit ihren Sachen tut, was sie nicht wollen? Nein. Das soll ja auch respektiert werden.

    Tja. Unerzogen? Ich sage: Empathie.

    Liebe Grüße
    Mo

  8. Wie passend, denn genau heute morgen habe ich über einen Besuch bei bekannten nachgedacht, den wir letzte Woche erlebt haben. …die Mutter erzieht sehr streng und mit viel Konsequenz und Belohnung, Bestrafung. …naja die volle Bandbreite! Wir hatten deshalb schon oft mal eine „Pause“ weil ich es nicht mehr ertragen habe…. aber sie ist dennoch offen für Vorschläge usw. Also waren wir eben mal wieder da auch weil die Kinder sich sehr mögen.Wie geht ihr denn damit um, wenn die aandere Mutter/Vater aktuv versuchen euer Kind zu erziehen? Beispiel: mein Sohn, dreieinhalb schnullert noch und darf das auch immer wenn er möchte. Die andere Mutter sagte zu ihm: du nimmst du bitte den schnuller raus denn sonst mag ich nicht mit dir spielen! “ Ähhhhh…..!?!? Oder :“also du bist doch schon alt genug dich mal allein anzuziehen damit die Mama sich in ruhe verabschieden kann“
    Es verunsichert meinen Sohn und ich habe ihr direkt gesagt das sie das bitte lassen soll…und ihm gesagt es ist ok so wie er es macht

    • Liebe Anja,

      oh je… das empfinde ich auch als grenzüberschreitend und übergriffig. Offensichtlich geht ihr ja anders mit ihm um und deswegen muss das auch so akzeptiert werden, selbst wenn man es anders sieht. Ich hatte eine ähnliche Situation mit meinem Bubba. Er hatte an den Tisch eine Töte mitgenommen, die Gastgeberin war der Meinung, sowas gehöre sich am Tisch nicht. Ich muss dazu sagen: es war eine dieser Papiertröten, die kein Geräusch mehr von sich gab, weil sie bereits an einer Stelle ein kleines Loch hatte. Er rollte sie also immer nur auf und wieder zusammen, beim Pusten. Mich störte das nicht. Das lautstarke Tröten hätte mich auch gestört, das er rein gepustet hat nicht… naja, sie aber. Sie riss ihm die Tröte aus dem Mund (!), zeigte auf den Teller und sagte: „Essen!“. Bubba stand vom Tisch auf und begann sofort zu weinen. Er kam zu mir, ich tröstete ihn. Sie konnte damit nicht wirklich was anfangen, weil sie sicher auch nicht damit gerechnet hatte, dass er weint. Aber so harsche Töne verkraftet er nicht gut. Und da erklärte ich ihr auch ruhig, dass es sowas bei uns nicht gibt. Dass wir gemeinsames Essen genießen und feiern und dass Tröten uns egal sind. wenn es sie stört, respektieren wir das, aber dann möge sie mich ansprechen oder ihn direkt. Nur nicht so…
      Damit hatte sich das relativ schnell. In unserem Fall. Wenn deine Freunde nicht aufhören, würde ich aber immer mal wieder das Gespräch suchen. Kann gut verstehen, dass das deinen Sohn verunsichert… Tut mir sehr leid für euch. Ist eine echt unangenehme Situation…

  9. Hi, ich hab den Artikel jetzt erst gelesen. Ich bin nämlich Grad auf der Suche nach solchen Artikel um eine bekannte Familie verstehen zu können und beim nächsten Treffen besser drauf eingehen zu können. Denn beim letzten Treffen (war auch das erste) bei meinem Eltern, hat der kleine den Garten demoliert und permanent meine Kinder geschlagen und dabei gelacht. Die Eltern haben dabei nichts gesagt und sich auch nicht mal dafür entschuldigt. Da war ich dann etwas überrumpelt und wusste gar nicht wie ich damit umgehen sollte. Man will ja auch niemand auf den Schlips treten ?

    Es ist schön zu lesen dass meine Hemmung, sich bei anderen Kinder nicht einzumischen unbegründet ist. Das nächste mal werde ich dann darauf aufmerksam machen und zuerst mit dem Kind darüber normal reden. ? einfach weil ich es jetzt mittlerweile besser verstehe. Also dass die Eltern es auch nicht stört wenn man dem Kind auf Grenzen des anderen aufmerksam macht. ? auch wenn sie eine so freie Erziehung ausleben.

    Aber was mir bei deinem Text nicht gefiel war die engstirnigkeit. Du hast viele Beispiele genannt und jedesmal den Eindruck gemacht als ob alle anderen, die nicht den unerzogenen Konzept ausleben, ihre Kinder permanent zu dingen zwingen oder Dinge verbieten würden.

    Mit dem essen z.b. hab ich, egal wie streng die Eltern waren, nie gesehen dass jemand sein Kind zum essen gezwungen hat. Nur weil man nicht dieses Konzept auslebt heißt es noch lange nicht dass jeder das dann so extrem anders macht, dass es gleich schädlich ist. Ich leb meiner Meinung nach in gar keinen Konzept. Ich hab irgendwie ne Mischung aus allem und Wende das an wie die Situation es erfordert. Ganz wie meine Kinder es benötigen.

    Denn das ist es was mich im Internet sehr stört und was mir aufgefallen ist, ist dass viele, die dieses Konzept ausleben, sich selber in eine Schublade stecken und alles andere gleich verteufeln. So wie du in deinem Text. In den Kommentaren lese ich es auch oft dass dann gewisse Situationen als peinlich und unangemessen empfunden wird, wie z.b. mit dem entschuldigen. Wenn es aber den Eltern wichtig ist, dass sich ihr Kind entschuldigt und versucht das Kind das nahe zu bringen, dann sollten auch Eltern das einfach akzeptieren und sich dadrin nicht unwohl oder peinlich berührt fühlen.

    Ich wollte das nur sagen weil mich das bei dem Artikel etwas enttäuscht hat dass wieder einmal das meiste nur darum geht sich selber zu erklären und alles andere als schlecht zu bezeichnen. Aber ansonsten n schöner Text was mich besser verstehen gelassen hat ?

    LG ?

  10. In vielen Punkten stimme ich mit Dir überein, aber ich finde es sinnvoll, die Kategorien zu unterscheiden. Das macht es für alle einfacher.

    1. Situationen, in denen der Erziehungsstil nur Eltern und Kind betrifft.
    Das sind die Höflichkeitsregeln, zum Beispiel. Vielleicht fühlt sich jemand beleidigt, weil das Gastkind nicht die Hand gibt und „bitte, danke“ sagt. Ich finde aber, das müssen Menschen aushalten. Dass ihre Erwartungen an das höfliche Austauschen von anerzogenen Formeln nicht bedient wird. Es passiert ja nichts, und nur ein Pedant wird das als persönlichen Affront erleben, wenn die Zweijährige nicht in Formeln spricht. Sondern vielleicht lieber gar nichts sagt.
    Gemeinsame Mahlzeiten passen für mich auch in diese Kategorie. Solange mein gutes Porzellan nicht Opfer einer kleinkindlichen Materialprüfung wird oder Rührei in meinen Perser gerieben wird, kann es mir herzlich egal sein, ob die Gäste mein Essen mögen oder nicht, es mit der Gabel oder mit den Fingern essen oder sogar unter dem Tisch (solange der Hund nicht mit im Raum ist, der ist nämlich auch unerzogen und würde augenblicklich dem Kind das Essen abnehmen.).
    Auch hier finde ich: Ein Gastgeber, der ein Problem damit hat, dass die dreijährige Pippilotta die aufwändig hergestellten Ravioli mit der Füllung aus Artischockenherzen an Trüffelbutter nicht mag, hat in Wirklichkeit kein Problem mit Erziehungsstilen, sondern mit seinem Ego.

    2. Situationen, in denen die Grenzen der Gastgeber ganz konkret überschritten werden.
    Verhalten, das in diese Kategorie gehört, finde ich in der Gastgeber-Gast-Interaktion problematischer. Wenn ich Gäste habe, setze ich voraus, dass sie sich an gewisse Konventionen halten. Zum Beispiel nicht die Fransen meines Teppichs abschneiden. Auf dem alten Sofa hopsen, bis die Sprungfedern aufgeben. Die Wände verschönern. Mit Kuchenklebhänden auf meinem geliebten Bildband von George Stubbs Spuren hinterlassen. Mein Kopfkissen ins Hundekörbchen tragen.
    Ich finde es normal, sich am Anfang eines Besuchs über Fragen, die in jedem Haushalt unterschiedlich gehandhabt werden, zu verständigen. (Das betrifft aber wenige Dinge, so wie „Schuhe an/aus“. Und alles, was mit dem Hund zu tun hat, denn jeder Hund tickt anders, und der Hund kann nicht sprechen.)
    Ich finde es gut, dass ich Gästen an der Tür nicht ein zweihundertseitiges Regelwerk in die Hand drücken muss, um alles andere zu regeln. Dafür gibt es Konventionen.
    Die auch Kindern beizubringen, finde ich unwahrscheinlich hilfreich. Oder, alternativ: In Situationen außerhalb des familiären Konventionserkundungslabors sich auf ein elterliches „Nein“ zu verständigen. Das reduziert die Komplexität fürs Kind. Ein Zweijähriges muss nicht nachvollziehen können, dass meine Freude an den Kunstdrucken von Stubbs getrübt ist, wenn die Seiten zusammenkleben.
    Dafür gibt es ja Eltern. Als Vermittler zwischen Kind und Außenwelt.
    Ich finde es gut, wenn Eltern bereit sind, diese Vermittlungsarbeit zu leisten. Ganz egal, wie sie erziehen – oder ob überhaupt.

  11. An der Realität vorbei. Aber romantisch. Kinder ohne Grenzen haben keine Orientierung und fallen später hart, wenn sie erkennen müssen, dass sie nicht der Nabel der Welt sind,so wie in der Kindheit erfahren. Und grenzenlos funktioniert schon mathematisch nicht, weil andere Menschen Grenzen haben. Also ist der Spielraum auf jeden Fall begrenzt. Ein nicht durchdachter Hippstertrend mit Astrid-Lindgren-Fehlinterpretation. Wenn die wüsste….

    • Hallo Bodo, darum geht es bei „Nichterziehung“/ „unerzogen“/Gleichberechtigung pp grade nicht: um KEINE GRENZEN??!! Wir reden eben NICHT VON ANTIAUTORITÄR, wir reden nicht von Kindern, wo wir prima finden, dass die andre Menschen respektlos behandeln, auf die Tische k….. usw. !!! !!!!

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