Damals, heute und alles, was dazwischen liegt

Es ist ein Samstag im Mai und ich bügele. Eigentlich bügele ich nie. Aber die drei Faktoren- Samstag, Mai, Bügeln – können nur eines bedeuten: es steht eine Hochzeit an, auf die wir eingeladen sind. Ich bügele das Hemd meines Mannes. Weißes Hemd, sein Hochzeitshemd. Ich streiche über das Material und erinnere mich, glasklar, wie er damals dort stand. Vor dem Bogen, wenige Minuten vor unserer freien Trauung unter freiem Himmel. Ich kann ihn vor mir sehen, sein Lächeln, als ich vorgefahren kam und spüre seine Aufregung noch heute, wenn ich dieses Hemd berühre. Vier Jahre ist dieser Tag her, ziemlich genau. Der Kragen ribbelt sich schon leicht auf, die Ärmel bekommen so langsam ihre Spuren am unteren Rand. Nächstes Jahr, wenn andere Freunde heiraten, wird er dieses Hemd nicht mehr tragen können, denke ich. Dann müssen wir es vielleicht entsorgen, denke ich. Ich werde ein wenig wehmütig, was ich albern finde, denn es ist doch nur ein Hemd.

Von damals und von heute

Ich hänge es auf, mache den obersten Knopf zu und denke an die letzten 4 verheirateten Jahre mit dem selben Mann. Wir haben so viel gemeinsam durchlebt, in dieser Zeit.

Eine unerträgliche Schwangerschaft voll Schmerz, Krankheit und Wut. Gefolgt von einem anstrengenden und gleichzeitig wunderschönen Babyjahr mit unserem ersten Kind. Eine weitere kranke, kräfteraubende Schwangerschaft im nächsten Jahr. Lähmende, panische Angst um das Leben unseres Kindes. Und Erholung, als die Geschwistereifersucht und die ersten, harten Monate um waren. Wir haben uns Dinge gesagt, die nicht immer schön waren, haben uns angeschrien und gestritten, am Ende unserer Kräfte, am Rande unserer persönlichen Grenzen, am Verlust der eigenen Bedürfniserfüllung. Wir haben uns gesagt, dass wir uns lieben und dass wir durchhalten wollen. Dass wir das schaffen und stärker da raus gehen wollen. Dass diese Familie uns mehr bedeutet als alles andere auf der Welt. Wir waren am Boden und sind wieder aufgestanden. Wir haben gekämpft. Und sind noch da.

Müsste ich heute, für unsere Freunde, eine Rede schreiben, dann bräuchte ich nur drei Wörter:

 

Werdet glücklich zusammen.

Und frage mich gleichzeitig, ob das wirklich so einfach ist? Mein Bruder schenkte uns eine Karte zur Hochzeit, auf der nur zwei Wörter standen: „Seid glücklich!“. Es ist die einzige Glückwunschkarte, die wir aufgehoben haben und die noch in unserer Vitrine steht, die ich manchmal, wie heute zum Beispiel, hervor hole und ansehe. Einhalten konnten wir es nicht immer, glücklich waren wir nicht immer, unsere Ehe war nie einfach und eigentlich immer mit sehr viel Arbeit verbunden. Mich fragen die Leute heute häufig, ob ich alles wieder genau so machen würde und ich antworte jedes Mal „Nein“ oder „Auf keinen Fall!“. Es ging alles zu schnell, nach diesem Samstag im Mai damals, für mich zumindest, hätten einige Schritte noch eine Weile länger dauern dürfen. Auch die Hochzeit würde heute anders ablaufen. Und die Zeit danach vielleicht auch. Aber eines wird mir klar, nun, da ich das Hemd bügele und auf mein Hochzeitsbild im Wohnzimmer sehe. Am Ende war alles genau richtig so, wie es war und ist.

Denn auch wenn ich nicht immer glücklich bin, wenn wir verletzende Dinge sagen, die wir nachher bereuen, wenn wir monatelang nicht gemeinsame Abende auf der Couch oder im Restaurant verbringen, weil unsere sensiblen Kinder in Kombination mit unserer bedürfnisorientierten Erziehung verlangen, dass wir hinten anstehen, auch wenn hier manchmal alle am liebsten hinwerfen und wegrennen wollen, ist am Ende alles gut, so wie es ist.

 

Es ist gut. Ganz genau so, wie es ist.

 

Damals, heute und alles, was dazwischen liegt

Ich, damals. Hochzeit 2012

Denn unsere Ehe hält das aus. Sie hält seit vier Jahren aus, was das Leben für uns bereit hält. Wir finden immer wieder zueinander zurück, wir halten unsere Hände und stützen unsere Rücken, wenn es darauf ankommt. Lernen dazu und entwickeln uns weiter. Wir verändern uns, nicht wegen, nicht für den anderen, sondern mit ihm gemeinsam. Lieben unsere Kinder, die uns so viel Lebensfreude schenken. Wir hassen manchmal alles, weil es so anstrengend und hart ist und wir doch eigentlich nur an den Strand fahren und Caipis trinken möchten. Oder schauen in die Zukunft mit Herzen in den Augen und Vorfreude im Bauch. Wir betrachten die Gegenwart voller Stolz auf Meilensteine, wunderbare, einzigartige Kinder und eine Familie, die nichts erschüttern wird, jemals. Und manchmal, so wie jetzt, da drehen wir uns ehrfürchtig um, ziehen den Hut vor dem anderen, vor der Kraft, dem Durchhaltevermögen, dem Willen des anderen. Dann sehen wir zurück mit Liebe und Dankbarkeit im Herzen. Wir atmen auf, beim Gedanken daran, was wir alles geschafft haben. Schütteln ab, was nicht gefiel. Nehmen mit, was glücklich macht.

 

Heute und in Zukunft

Damals, heute und alles, was dazwischen liegt

Ich, heute. 2016, sehr sehr müde.

Heute heiraten unsere Freunde, denen ich einen ganz anderen Weg wünsche. Einen eigenen, spannenden, neuen Weg. Ihren
gemeinsamen Weg. Der vielleicht manchmal so steinig und nervenaufreibend ist, wie unserer. Der Kratzer und blaue Flecken hinterlässt. Der gut tut und einen mit so viel Liebe und Glück erfüllt, wie man nur tragen kann und dann Knutschflecken, Lächeln und bisweilen auch Schwangerschaftsbäuche hinterlässt. Einen Weg, der nur ihnen gehört, der sie prägt, glücklich macht, unglücklich macht, der sie nicht loslässt und den sie nicht loslassen, der sie sein und sie sich verändern lässt.

Sich im Laufe der Jahre mit jemandem zusammen zu verändern, das heißt auch, zu dürfen. Und zu können. Vorbehaltlos. Nicht immer mag das klappen, wir haben in diesen vier Jahren auch Ehen scheitern sehen. Aber zu dürfen, links und rechts des Weges einige Schritte zu wagen und zu testen, ob es besser, leichter, witziger, bunter, einfacher sein könnte und aufgefangen zu werden, wenn der Versuch scheitert, ist vermutlich das Rezept einer funktionierenden Ehe – unserer halbwegs und nicht immer funktionierenden Ehe. Aber wir sind noch da. Wir sind noch hier. Mit sehr viel Liebe, trotz aller Veränderungen und Widrigkeiten, nach diesen Jahren.

Noch einmal streiche ich über das Hemd des Mannes, der heute ein anderer ist und damals eine Frau heiratete, die heute eine andere ist und wünsche meinen Freunden nichts anderes, als das Glück, das ich bei diesem Gedanken empfinde.

 

 

35 Antworten

  1. Was für ein toller Text, der mich sehr anspricht.
    Wir haben vor 5 Jahren kirchlich geheiratet – und vor 5,5 Jahren standesamtlich.
    Du hast es so schön auf den Punkt gebracht, dass zwar nicht immer einig waren und sind, aber aneinander wachsen, uns gemeinsam verändern und vor allem – immernoch da sind.
    Vielen Dank für diesen Text.
    Ich wünsche Euch weiterhin alles Gute auf Eurem gemeinsamen Weg und um es mit den Worten Deines Bruders zu sagen „Seid glücklich“.
    Liebe Grüße
    Reni

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