Die große Vereinbarkeits-Illusion

Von Annika

Kaum hast du diesen zweiten Streifen gesehen, das Kreuz oder – ganz eindeutig das Wort SCHWANGER in deutlichen Lettern unter dem Schleier deines Pipis entdeckt da geht es ja schon los mit der ganzen „Vereinbarkeits-Thematik“. Mit dem positiven Schwangerschaftstest starten wir doch schon das Taktieren. Wann sage ich es meinem Arbeitgeber? Wie wird er reagieren? Nicht immer ist es große Freude über das neue Leben, die uns da entgegen gebracht wird. Wie sichern wir uns unseren Job schon jetzt für die Zeit der Rückkehr? Ist es überhaupt möglich zurück zu kehren? Welches Arbeitszeitmodell wird mich erwarten? Klar, es gibt Gesetze und Regelungen für all das. Auf die frau sich berufen kann. Aber wer von uns will es denn wirklich so weit kommen lassen? 

Uns geht’s ja schließlich heute besser als unseren Müttern

Das lässt mich ja auch nach nunmehr fast 7 Jahren Mutter-Dasein immernoch auf Knopfdruck in die Luft gehen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es wird dauernd darüber geredet und geschrieben. Nicht selten dürfen wir „jungen Mütter“ uns ja von unserer Vorgänger-Generation mit diesem pieksenden Unterton in der Stimme sowas anhören wie: „Also bei uns gab es nur ein paar Wochen Mutterschaftsurlaub und Geld? Es gab keinen Pfennig mehr!“ „Ihr habt es gut, die Männer von heute helfen ja so viel im Haushalt mit. Das hätte dein Vater/Opa/Onkel etc. nicht gemacht.“

Boah, da könnte ich echt platzen. Ihr merkt schon, das tendiert hier arg in Richtung Rant….

Müssen wir wirklich auf Knien danken für das Fizzelchen das wir von der Unterstützung kriegen die wir eigentlich BRÄUCHTEN um in Familien gesund und belastbar leben zu können? Wertschätzend anerkennen, dass es Menschen gab die viel investiert haben um diesen Zustand zu erkämpfen wie er jetzt ist – ja, das sollten wir auf jeden Fall. Aber in „Dankbarkeitsstarre“ verfallen und lieber nicht noch mehr fordern? Nein. 

Schließlich leben wir zwar in sehr, sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen in diesem Land. Aber darum geht es ja im Kern der Sache nicht. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in weiten Teilen unserer Gesellschaft extrem erschwert. Noch immer sind Frauen einzig aufgrund ihrer vorhandenen Gebärmutter der Vereinbarkeitsthematik ausgesetzt. 

 

Vereinbarkeit ist eine Illusion - Stress die Realität

Vereinbarkeit ist eine Illusion – Stress die Realität

Unvermittelbar aufgrund von Gebärfähigkeit 

Ich war mal arbeitslos. Das war gar nicht so dramatisch. Ich bin nämlich gut ausgebildet. Habe sehr gute Referenzen. Ich bin auch ganz nett und durchaus vorzeigbar. Meistens hatte ich sogar meine Haare ordentlich gekämmt. 

Aber es gab da ein Problem. Ich hatte ein Kind geboren. Dieses Baby, unser Großer, war zu dem Zeitpunkt 8 Monate alt und ich wollte gerne so ungefähr wenn er ein Jahr alt ist wieder arbeiten gehen. Also startete ich den Bewerbungsmarathon und wand mich vertrauensvoll und hoch motiviert an die Arbeitsagentur. 50 Bewerbungen und 30 Vorstellungsgespräche später war sie dahin, meine Motivation… Meine Jobvermittlerin versuchte mich aufzubauen… „Wissen Sie, ich sag Ihnen jetzt mal was im Vertrauen: Sie sind 31, verheiratet und haben ein kleines Kind. Für uns hier intern sind sie direkt in die Kategorie ‚nicht vermittelbar‘ gerutscht. Sie kriegen ja sicher eh noch ein Kind. Das denkt sich doch auch jeder Arbeitgeber.“

RUMMS. Na danke. Zumindest wusste ich jetzt Bescheid. Ich fand schlussendlich tatsächlich einen Teilzeitjob. Ich wurde eingestellt, „obwohl“ mein Chef sich des „Risikos“ natürlich bewusst war. 

Die Arbeit an sich war ganz wunderbar. Ich hatte trotz meiner nur 18 Wochenstunden das komplette Marketing eines kleinen mittelständischen Unternehmens unter meinem Fittichen. Mein Arbeitsbereich war vielseitig, ich hatte viel Verantwortung, war technisch bestens ausgestattet, genoss Weiterbildungsmöglichkeiten und konnte meine Arbeitszeiten in gewissen Grenzen zu Beginn nach meinen Bedürfnissen auf die Woche verteilen. Hatte an jedem Arbeitstag 20 Minuten Zeitpuffer eingebaut. Soweit, so gut geplant. 

Der Plan war gut. Doch dann kam das echte Leben.

Hier eine Magen-Darm-Grippe, da eine Bronchitis, dort ein Betreuungsengpass wegen Krankheit der Tagesmutter. Mal so nebenbei ein Firmenjubiläum organisieren, eine Besprechung nach 16 Uhr irgendwie eintakten, die Urlaubsplanung an die Betreuungsmöglichkeiten und die Urlaubszeiten unseres Hauptverdieners anpassen. Der Wocheneinkauf, die plötzlich zu klein gewordenen Schuhe, die spontan und dringend anberaumte Dienstreise des Gatten, einen Termin für die nächste U-Untersuchung beim Kinderarzt vereinbaren und dann noch kurz das Bad putzen. Und plötzlich: wieder schwanger, mit allen Herausforderungen und Unwägbarkeiten von vorn anfangen.

Klingt irre anstrengend? Schon beim Aufschreiben und wieder lesen spüre ich wieder wie ich mich fühlte. Wie ein Dynamo der ständig brummt und summt, niemals still steht und sich dauernd droht selbst zu überholen. Immer auf Vollgas und dabei dauernd im roten Bereich unterwegs.

Ihr denkt jetzt vielleicht: Das geht doch allen so!? Allen vielleicht nicht. Aber sehr, sehr vielen! 

Aber ist das gut so? Ist das ok? Ist das irgendwie auf Dauer durchzuhalten, ohne dass mindestens einer im System Familie auf der Strecke bleibt? Ich befürchte NEIN. 

Ihr müsst euch halt besser organisieren…! Echt jetzt??

Warum ich hier rumschimpfe und euch das alles erzähle? Damit ihr nicht denkt, dass es an eurem mangelnden Organistationstalent, euren Fähigkeiten, Qualifikationen, eurem Durchhaltevermögen oder gar an eurem Wesen liegt! Bitte verzweifelt nicht über diese massiven Überforderung die ihr täglich meistert. Es IST eine Überforderung. Und ihr meistert das tatsächlich! Jede auf ihre Art. 

Fragt mal rum, bei der Mama die morgens ihr Kind immer vor euch in die Kita bringt und so schöne Klamotten trägt und so toll dezent geschminkt ist. Oder bei der Nachbarin, die in der Bank eine ganze Abteilung im Griff hat und das Zuhause scheinbar mühelos auch noch meistert. Fragt mal die Mama am Spielfeldrand die es immer schafft einen Kuchen für die Mannschaft zu backen und dann auch noch jeden zweiten Thekendienst bei den Vereinsveranstaltungen übernimmt. Wagt euch raus aus der Deckung und macht mal ein Experiment. 

Was werden sie wohl antworten, wenn ihr das Gespräch entsprechend eröffnet mit: „Du, ich bewundere wie du das alles meisterst, ich fühle mich ganz oft ganz schön überfordert mit allem was so an mir hängt. Wie machst du das? Hast du einen Tipp für mich…?“? Vielleicht überraschen sie euch mit ihren Antworten. Mir ging das jedenfalls so. 

 

Überforderung und Selbstzweifel – all überall…

Sie ALLE waren am Rand ihrer Kräfte, sie alle zweifeln dauernd an sich. Und dann flossen Tränen. Mitten auf der Straße – und zwar nicht nur bei mir… 

Was das Ergebnis war? Defakto keine Veränderung der Tatsachen. Aber das Gefühl war ein anderes nach diesen Gesprächen. Für uns beide. Wir waren nicht mehr allein. Und das stärkt und relativiert so vieles. Daraus kann so viel Gutes entstehen. Vielleicht sogar echte, praktische Unterstützung, der vielbeschworene Clan, vielleicht sogar das eine oder andere Kompliment mit dem ihr so gar nicht gerechnet hättet?

 

Seid gut zu euch!

Wenn ihr dann an dem Punkt angekommen seid, dass ihr euch nicht mehr selbst zerfleischt, dann reden wir über Strategien. Aber erst dann. Seid erstmal gut zu euch selbst. Ihr habt es verdient euch selbst Anerkennung zu zollen! 

 

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