Bindungsorientierte Eingewöhnung eines hochsensiblen Kindes

Noch ein paar Mal tief durchatmen, dann ist es so weit: es steht wieder eine Eingewöhnung an. Für Bubba Ray ist es die – insgesamt – vierte in ein außerfamiliäres Betreuungsmodell. Mal abgesehen davon, dass ich mich dennoch als Selbstbetreuer bezeichne. Wie das zusammen geht? Eigentlich ganz klar: zwei Eingewöhnungen sind gescheitert, die dritte, bei der eigentlich jetzigen Tagesmutter konnte ich nie als so richtig abgeschlossen ansehen und das Ende vom Lied: anstelle der ursprünglich geplanten 15 Wochenstunden bei ihr verbrachte er – in „erfolgreichen“ Wochen – mal so seine 5 Stunden dort. Seit einigen Wochen habe ich ihn komplett Zuhause und wir erwarten gemeinsam den Kitastart.

Ich weiß heute mehr denn je um sein sensibles Wesen und mittlerweile glücklicherweise auch um die Dinge, auf die er großen Wert legt. All jene haben die Eingewöhnungsphasen in der Vergangenheit beeinflusst und werden auch die künftige wieder dominieren. Was ich dieses Mal anders mache und worauf wir als Familie nach fast vier Jahren mit hochsensiblem Kind Wert legen, habe ich mal wieder in einem episch langen Artikel zusammengefasst.

 

Königsdisziplin: Eingewöhnung eines hochsensiblen Kindes

Königsdisziplin: Eingewöhnung eines hochsensiblen Kindes

 

 

Die Eingewöhnung an sich ist nicht das Problem

In so manchen Wochen endete das Abliefern bei der Tagesmutter in Traurigkeit, Tränenmeer und manchmal markerschütterndem Geschrei. Es mag sein, dass hochsensible Kinder eher zu dieser Dramatik tendieren – aber das wissen wir nicht mit Gewissheit. Genau so kann es sein, dass das nichts mit Hochsensibilität zu tun hat. Es kann Typsache sein (denn ich weiß auch von hochsensiblen Kindern, die liebend gern täglich in den Kindergarten gehen), kann direkt mit dem Modell an sich zu tun haben, auf jeden Fall aber – wie ich es auch drehe und wende – mit den Betreuungspersonen, die morgens auf das Kind warten.

Dabei hatte es wunderbar angefangen und ich wusste, dass die unaufgeregte Art unserer Tagesmutter und auch die kleine Gruppe seinem Wesen in die Hände spielte. Mittags holte ich einen kleinen Jungen ab, der nicht geweint hatte und nicht traurig gewesen war. Neben ihm waren nur wenig Kinder dort, er litt nicht unter permanenter Reizüberflutung. Die Situation war für ihn perfekt. Und das, obwohl ich noch nichts von seiner Hochsensibilität wusste. Tatsächlich veränderte sich die Situation durch zwei Dinge: erstens, die Geburt seines kleinen Bruders und zweitens durch das Benennen seines sensiblen Wesens.

 

Steht Hochsensibilität der Eingewöhnung im Wege?

Hochsensibilität hat man, oder hat man nicht. Ende der Geschichte. Man kriegt sie nicht, wie eine Warze oder Sonnenbrand. Sie ist da und wenn sie es ist, dann geht sie nicht mehr weg. Nachdem ich einen Namen dafür hatte, gab es für uns kein Zurück mehr. Im Gegenteil: tatsächlich forcierte vor allem diese Tatsache meinen individuellen, beziehungsorientierten Ansatz für meine Familie. Ich konnte quasi spüren, dass ein hochsensibles Kind genug mit sich und der Welt zu tun hat. Gefühle und Emotionen prasseln völlig ungefiltert auf es ein, es ist quasi jede Gefühlsregung anstrengend.

Ich verabschiedete mich davon, mein Kind erziehen zu wollen. Ich ließ es fortan einfach, wie es war. Allerdings kann man Hochsensibilität nun mal nicht eingewöhnen. Wie gesagt: sie ist da, geht nicht weg, kann nicht trainiert werden und in welcher Empfindung der oder die Betroffene sie spürt, kann niemand sagen – außer der oder die Betroffene. Eingewöhnung abgeschlossen hin oder her: die Geburt des kleinen Bruders schüttelte Bubba Ray ordentlich durch. Es war, als hätte man ein bereits zusammen gesetztes Puzzle auseinander gerissen und die Teile in der gesamten Wohnung versteckt.

Wir suchten sie mühsam zusammen. Aber einige blieben verschwunden. Bis heute.

 

Familienpuzzle: welche Teile bilden den Rahmen für eine gelungene Eingewöhnung eines hochsensiblen Kindes?

Familienpuzzle: welche Teile bilden den Rahmen für eine gelungene Eingewöhnung eines hochsensiblen Kindes?

 

Die entscheidende Zutat

Die Wahrhaftigkeit von bindungsorientierter Elternschaft und bewusstem Erziehungsverzicht offenbarte sich besonders in dieser sensiblen Zeit der – eigentlich vierten – Eingewöhnung nach der Geburt von D-Von. Bubba Ray war zerbrechlich und trauerte. Er musste sich nahezu über Nacht von der gemeinsamen Zeit mit mir verabschieden und mein permanentes Suchen nach Glück und Geborgenheit für meinen Sohn verunsicherten ihn; wollte er doch sicher einfach nur Raum für seine Traurigkeit. In genau dieser Zeit wurde mir irgendwann endlich klar, worum es tatsächlich geht.

Ein Kind so viel Eis essen zu lassen wie es möchte, ist das eine. Doch ein Kind in all seinen Bedürfnissen, in seinem Schmerz, in seiner Empfindung, kurz: in seinem ganzen Wesen zu sehen, (aus) zu halten und zu respektieren, ist das andere. Ich verlangte wirklich und wahrhaftig nichts von ihm. Ich wünschte mir nur, es würde ihm endlich wieder gut gehen. 

Mit unserem Betreuungsplatz stand das aber plötzlich in Konflikt. Von mir und Bubba wurden nun Dinge verlangt, die wir nicht im Stande waren zu leisten. Zum Beispiel: mein weinendes Kind morgens dort zu lassen und zu fahren, obwohl alles in mir panisch aufschrie. Oder, mich morgens schnell und zügig zu verabschieden, um es ihm nicht „schwerer“ zu machen, als es sei – schließlich müsse er da ja dennoch „durch“.

Ließ ich jedoch Bubba morgens weinend zurück, holte ich ihn manchmal nach wenigen Minuten doch ab, weil er sich nicht beruhigte. Oder aber er beruhigte sich, fing dann aber prompt an zu brüllen wenn ich ihn mittags abholte und hörte für den Rest des Tages nicht mehr auf. Ihn öfter zu bringen, führte nur zu häufigeren Wutanfällen, unter denen ich sehr litt. Mich morgens kühler zu geben und schneller zu verabschieden, fühlte sich falsch an, wo ich doch sah, dass mein Sohn meinen Trost so sehr gebraucht hätte. Ich brach das Experiment ab, ließ ihn (zum ersten Mal) Zuhause und begann, an allem zu zweifeln. Es ging so nicht. Nie.

Was hatten wir falsch gemacht? Was fehlte?

 

Vorbehaltloser Trost.

Ganz egal, wie oft man Kinder in ein Betreuungsmodell eingewöhnt hat und wie oft die „Verabschiede dich und dann geh schnell“-Taktik auch funktioniert haben mag: sie benötigt immer und ausschließlich die wichtigste Zutat „Trost“, um dem Kind etwas zu bringen.

Meine Prioritäten lagen und liegen noch immer nicht auf Betreuung sondern auf Bindung. D-Von ist sehr sicher an uns, aber auch an unsere Tagesmutter gebunden. Er freut sich darauf, dorthin zu gehen, er begrüßt sie stürmisch und ist am Nachmittag danach der Gleiche wie der, den ich morgens dort lasse. Wenn er beim Abschied weint, übergebe ich ihn auf den Arm seiner Tagesmutter, in dem er Trost erfährt und das Gefühl, dass sie für ihn da ist, bis ich wiederkomme.

 

Auch Hochsensibilität muss getröstet werden – dann und wann.

Mir hilft, im Umgang mit meiner eigenen Sensibilität, immer auch wieder der Perspektivwechsel. In dem Fall der, in die Perspektive eines normal sensiblen Menschen, wie D-Von, dem tatsächlich nichts schwer fiel. Was war für ihn anders? Er hatte zum Einen natürlich nicht das Pech gehabt, ständig die Betreuungsplätze wechseln und dann auch noch einen Bruder bekommen zu müssen. Zum Anderen war ICH aber auch eine andere Mutter, als ich die Eingewöhnung mit ihm begann. Ich war klarer, entschlossener. Ich hatte mich festgelegt, dass Beziehung der Mittelpunkt meines Denkens ist. Sowohl für mein hochsensibles, als auch für mein normal sensibles Kind. Hochsensibilität ist einfach da. Sie steht nicht im Weg, genau so wenig, wie sie weggeschoben werden kann. Sie ist da, so wie blondes oder braunes oder rotes Haar. Und genau so wenig sollte sie auch Beziehung beeinflussen.

Wir können uns nicht an sie gewöhnen, schon gar nicht mit ruppigen Methoden, die diese zarte Pflanze eher zertrampeln, als ihr dabei zu helfen, unter ihrer sanften Oberfläche so starke Wurzeln auszuprägen, dass ihr Gegenwind mit jedem Jahr weniger ausmacht.

Für mich ist das die Quintessenz unserer Erfahrung mit der Eingewöhnung eines hochsensiblen Kindes: alles geht, wenn da genügend vorbehaltloser Trost ist. Von dem wird ein hochsensibles Kind immer ein wenig mehr benötigen, als ein normal sensibles (möglicherweise), was wiederum im Alltag einer Kita schwer umzusetzen sein könnte. Dann ist es Ermessenssache, sich zu fragen, ob die Betreuungssituation noch die richtige ist. Denn, und das sage ich heute mit Überzeugung: ohne den Trost der zukünftigen Bindungsperson wird Bindung nicht aufgebaut. Ich weiß jedenfalls genau, dass mein Kind an jedem weiteren „Geh einfach!“ zerbrochen und nicht gewachsen wäre, wie an einem „Bubba Ray, deine Mama geht jetzt. Aber ich bin hier und halte dich – solange wie du es brauchst.“

Zusammen ein Stück des Weges: Eingewöhnung eines hochsensiblen Kindes

Zusammen ein Stück des Weges: Eingewöhnung eines hochsensiblen Kindes

Leichter? Schwerer? Unerlässlich?

Ob ich meinem Kind eine Situation damit nun leichter mache, das frage ich mich längst nicht mehr. Derartige Szenarien werden für ihn nie erträglich sein. Und es geht mir auch nicht mehr darum, ihn davor zu bewahren – ganz einfach, weil das nicht möglich ist. Er wird immer von allem etwas mehr brauchen: mehr Zeit, mehr Aufmerksamkeit, mehr Trost, mehr Ruhe. Und immer etwas mehr haben: mehr Schwierigkeiten, sich einzufinden, mehr innere Anspannung, mehr Unruhe, mehr die Tendenz dazu, in allem ein Problem zu sehen oder sich überfordert zu fühlen. Wir fassen ihn weder mit Samthandschuhe an, noch leben wir in ständiger Angst davor, wieder mit  Schreckenssituationen konfrontiert zu werden. Wir leben einfach, wir kennen uns wirklich und genau so gehen wir auch an die bevorstehende Eingewöhnung heran.

Ich weiß, dass ich mich gut werde verabschieden und ihn loslassen können, wenn ich dort Trost entdecke. Wenn ich sehe und spüre, dass dort Menschen ihn betreuen, die ebenso vorbehaltlos sind, die eine Schulter zum Ausweinen spenden, wenn es anders nicht geht.

Für mich ist das die wirklich wichtige Zutat, für ein Gelingen der Eingewöhnung mit einem hochsensiblen Kind – der Königsdisziplin unter den Herausforderungen mit einem solchen. Falls ihr aber noch weitere, wichtige Zutaten und einen Leitfaden für eine erfolgreiche Eingewöhnung habt, dann freue ich mich über eure Erfahrungen in den Kommentaren.

Wie lief es ab, wie habt ihr es verkraftet und wie euer Kind? Worauf legt ihr Wert? Wovor habt ihr Angst? Woran haltet ihr fest?


Und zum Schluss noch einen Link zum Thema Eingewöhnung, der mich nachhaltig geprägt hat: Dr. Joachim Bensel’s Vortrag „Der erste Weltenwechsel“ zur Eingewöhnung in außerfamiliäre Betreuung. By the way: Speaker auf der FEBuB 2017 😉

 

6 Antworten

  1. Hey

    Erstmal danke dir für den tollen Blog… Ich lese ihn sehr gerne. Aber jetzt will ich auch mal einen Kommentar schreiben.

    Ich könnte mich so aufregen, nicht über dich sondern über dieses furchtbare „geh einfach“ das von Erziehern so gerne in den Raum geworfen wird und damit soviel in Kindern und deren Beziehung zu ihren Eltern kaputt macht.
    Kennst du das forum von Dr Rüdiger Posth (hat auch tolle Bücher über Bindung geschrieben „vom Urvertrauen zum Selbstvertrauen“)

    http://www.rund-ums-baby.de/entwicklung/Kindergarten-Eingewoehnung_42348.htm

    Sanfte Ablösung, etc suchen da wird gut erklärt auf was man achten sollte.

    Er sagt ganz klar das Kind muss erst über Wochen (da sind oft 4-6 aber kann auch länger sein) mit der Hauptbindungsperson eine Beziehung zum Betreuer aufgebaut haben und dann kann dieser als Ersatzbindungsperson fungieren…. Erst dann wird ein gehen möglich und auch nur wenn das Kind nicht weint dabei und alt genug für diesen Schritt ist. Die Kinder resignieren sonst nur und schieben es in ihr Unterbewusstsein ab wo es sie ein Leben lang beschäftigt und prägt.

    Ich habe die anderen Texte zur Eingewöhnung von dir nicht gelesen, wahrscheinlich hast du es so gemacht, und das ist auch keine Kritik an dir… Im Gegenteil ich finde toll das du so sensibel auf dein Kind eingehst. Mich regt nur dieses inkompetente „geh doch“ von Erzieherinnen auf da es total kontraproduktiv ist. Und nur darauf ausgelegt es der Erzieherin einfach zu machen… Nicht dem Kind.
    Liebe Grüße Kitty

  2. Ich als Erzieherin muss da auch mal meinen Senf zu abgeben… JA, du hast so recht! Und dass was du sagst gilt für ALLE Kinder nicht nur hochsensible… mein Sohn ist jetzt 2 und normal sensibel wenn auch eher introvertiert. Er kommt erst nächten Jahr in die Kita und mir graut davor. Zu vielen Erziehern ist es schlichtweg egal ob die Kinder sicher gebunden sind und ihnen vertrauen und trösten tun viele auch nur solange die Eltern das sehen… wir werden in die Waldkita gehen weil ich von dem Konzept überzeugt bin und weil mein Großer besser auf andere zugehen kann wenn man ihn nicht in einem völlig überfüllten Raum in dir Ecke treiben kann… welche Betreuungsform hast du für Bubba Ray gewählt? Käme Wald nicht auch für euch in Frage? Meiner Erfahrung nach sind die Erzieher auCh oft aufgeschlossener und nicht so festgefahren

  3. Vielen Dank für diesen Artikel, wir haben die Eingewöhnung gerade abgebrochen und du bestätigst mich in dem was meine Tochter und ich fühlen.
    Es war eindeutig die richtige Entscheidung

  4. Wir sind am gleichen Punkt und ich bin dankbar im Internet etwas Hilfe erfahren . Ich habe immer fest entschlossen gesagt dass ich sie nie gegen ihren Willen in die Kita bringen werde. Die ersten drei Wochen liefen gut, sie war drei Tage je 2h da. Vierte Woche kompletter Boykott. Zwei Tage hatte sie sich unwohl gefühlt die Erzieherin die sich wirklich Mühe gibt meinte sie hätte nicht geweint alles wäre ok. Aber sie hat sich selbst dazu nicht vertraut genug gefühlt um zu weinen. Das Ergebnis sie mag nicht mehr hin. Verständlich. Und wie oft wird man dann schräg angeschaut wenn man anderen Eltern von seinem Problem erzählt. Da heißt es dass Kind muss da durch. Nur wie soll ein Kind stark werden wenn es da schon gegen seinen Willen dort festgehalten wird. Danke für den tollen Einblick er macht Mut nicht alleine mit seinem Bauchgefühl zu sein. Und recht hast du, es braucht einfach so viel mehr Zeit und vor allem Verständnis.

  5. Ich lese hier gerade wieder einmal auf deinem Blog, diesmal wieder auf der Suche nach Trost und Bestätigung.
    Mein 22 Monate alter Sohn (ich selbst bin „moderat“ hochsensibel, bei ihm vermute ich es) geht seit September 2x die Woche in eine professionelle Tagespflege. Damit er unter Kinder kommt und ich mit dem neuen Baby mal durchpusten kann.
    Er weint beim Abschied. Ich höre, das er sich innerhalb einer Minute beruhigt, dennoch finde ich es falsch und mein Herz ist schwer, wenn ich daran denke, daß ich ihm das Gefühl nehme, sich IMMER auf mich verlassen zu können. Heute habe ich mir eine halbe Stunde Zeit genommen um ihn ankommen zu lassen. Gegen den Willen der Erzieherin, die mir erklärte, daß ich es ihm nur schwer mache. Es hat nicht geholfen, er klammert sich an mich und will mich nicht gehen lassen. Ich habe dann das dritte Mal die Erzieherin meinen Sohn weg tragen lassen und fühle mich furchtbar schlecht deswegen. Meine Überlegung ist, nach einer weiteren Eingewöhnungszeit zu fragen. Wenn das nicht geht, werde ich ihn vielleicht abmelden. Er bleibt sonst problemlos bei Menschen, die er kennt, das ist zwar Familie, aber dennoch, er vertraut anderen Menschen und geht mit ihnen auch aktiv weg von mir.
    Ich bin in der tollen Lage, das ich ihn nicht betreuen lassen muss, sondern ihm da einfach etwas bieten möchte. So hab ich mir das aber nicht vorgestellt.

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