Ich bin großer Desperate Housewives Fan. Ich habe alle Folgen, alle Staffeln gesehen. Auf Deutsch und auf Englisch, letzteres mehrfach. Seit ich allerdings Kinder habe, komme ich nicht mehr dazu, fern zu sehen. Das ist auf meiner Prioritätenliste einfach auf den letzten Platz gerutscht. Wie auch immer, jedenfalls gibt es da diese eine Szene, in der Bree Van de Kamp ihren Sohn Andrew in sowas wie einem Jugend-Besserungs-Camp besucht, in das sie ihn gesteckt hat, und er ihr beichtet, dass er schwul ist. Bree stellt die perfekte Hausfrau dar. Sie kocht, backt, putzt und wäscht, ist religiös, immer wie aus dem Ei gepellt, hat ein perfektes Haus, die perfekte Frisur, das perfekte Lächeln und pflegt den perfekten Umgang. Ihre Familie bildet den krassen Kontrast. Ihre Kinder sind Rebellen (der eine ständig strafauffällig, ihre Tochter Danielle wird im weiteren Verlauf mit 17 schwanger), ihr Mann betrügt sie mit einer Domina, von der er sich beim Sex verprügeln lässt und so weiter. Es ist also sehr klar, dass ihr diese Beichte einen tiefen Stoß versetzt, denn Homosexualität ist in der Bibel schließlich eine ganz absurde, ekelhafte und verbotene Sache. Doch anstatt einen Nervenzusammenbruch zu erleiden, wie es ihr tiefstes Innerstes vielleicht verlangen würde, setzt sie ein perfektes Lächeln auf und sagt:
„I would love you, even if you were a murderer!“
Andrew ist sichtlich verletzt. Seine Sexualität mit Menschenmord gleichzusetzen ist verletzend. Marc Cherry, der Produzent der Serie, sagt in einem Interview, das im Bonusmaterial der DVD zu sehen ist, dass seine Mutter (er ist selbst schwul) diese Aussage mal getätigt habe. Und es habe ihn so geprägt, dass er das als Material für seine Bree verwenden musste.
Dass ich diese Folge zuletzt sah, ist sicher weit mehr als 3 Jahre her. Ich kann mich nicht erinnern, sie in der Schwangerschaft gesehen zu haben und seit Bubba Ray lebt ganz sicher nicht. Und doch schwirrt mir dieser Satz ständig im Kopf.
„Ich würde dich auch lieben, wenn du ein Mörder wärst.“
Liebe.
Es ist die eine Sache, die ich meinen Kindern nicht beibringe. Wie bringt man Liebe bei? Das ist nicht möglich. Ich denke, man kann lieben und geliebt werden, doch dieser Zusammenhang ist so komplex, dass es kein Buch, keine Unterrichtsstunde, keinen Dokumentarfilm geben könnte, der die Prozesse und Verknüpfungen in Herz und Hirn so darstellen könnte, dass man es tatsächlich lehren könnte. Nein, ich habe mich niemals mit Bubba Ray hingesetzt und gesagt: das Gefühl, das du hast, wenn du auf meinen Arm möchtest, das ist übrigens Liebe. Und das Gefühl, das du hast, wenn du mir einen schmatzigen Kuss aufdrücken möchtest, das ist übrigens Liebe. Oder das, was du in meinen Augen siehst, wenn ich dich umarme oder dich küsse, das nennt man übrigens Liebe.
Und dennoch sage ich heute zu meinem wilden Sohn: „Ich hab dich lieb!“ Und er antwortet:
„Ich dich auch!“
Wenn ich meinen Mann in den Arme nehme und ihm sage, dass ich ihn liebe, dann erwidert er „Ich dich auch!“. Wenn meine Mutter mir eine SMS schreibt, in der steht „Ich hab dich lieb“, dann schreibe ich zurück „Ich dich auch!“. Und wenn meine Freunde mir sagen, dass sie mich lieben, lieb haben, ich ihnen wichtig bin, antworte ich: „Ihr mir auch“ oder „Ich euch auch“. Das Verrückte ist, und das ist vielleicht auch das Besondere an dieser Liebe, dass sie sich jedesmal ganz anders anfühlt, in allen Fällen. Ich liebe meinen Sohn anders als meinen Mann als meine Mutter als meine Freunde und dennoch ist es immer da, das Gefühl einer tiefen Zuneigung und Verbundenheit, die diese Menschen abhebt vom Rest der Welt.
Wenn mein Mann mich verärgert und wir uns streiten, kann ich tagelang sauer sein und auf Küsse und Nähe verzichten – je nach Schwere der Auseinandersetzung. Oder wenn meine Mutter und ich uns wieder nicht grün sind, kriegt sie eben ein paar Tage lang keinen Anruf und keine SMS. Und auch mit meinen Freunden gibt es Reibereien und Zank, die zwar immer zu klären sind aber trotzdem gewisse Grenzen und Regeln festlegen.
Meine Kinder gegen den Rest der Welt
Bubba Ray aber tobt wie der Hulk auf 90cm durch das Wohnzimmer, kneift mich, tritt seinen Vater, schmeißt mit seinem Rucksack nach mir, ist stinkwütend. Er ist längst über den Punkt, mir mitteilen zu können, was genau ihn so wütend gemacht hat, hinweg. Ich bin wütend, er ist wütend, sein Vater ist entnervt und wütend, keiner kommt an ihn ran und mir ist schon klar, dass sich sein Stress jetzt auch mal abregnen muss. Irgendwann brülle ich mit, zum Beispiel, dass er jetzt sofort aufhören soll, mich mit Dingen zu bewerfen oder ich schreie, dass er aufhören soll zu schreien. Die ganze Situation ist total aufgeheizt und dann passieren Dinge, die wir nachher bereuen. Zum Beispiel, dass ich Türen knalle, oder er. Dass ich eben schreie, was ich echt hasse. So toben wir also alle eine Weile um den anderen herum, nicht selten fangen mein Mann und ich dann noch an zu streiten, aus völliger Überforderung und zu großer Distanz und das Dilemma ist perfekt. Alle sind sauer auf den anderen.
Nach wenigen Minuten aber beginnt Bubba zu weinen. Er ist am Ende. Einfach aufgelöst. Irgendwas zwischen über sich selbst erschrocken, müde und diesem Gefühl der Wut und Trauer, seinen Willen nicht bekommen zu haben. Er weint und schluchzt und sein kleiner Körper bebt und alles was ich fühle ist sehr tiefe, sehr unbeschreibliche, sehr mitfühlende Liebe. Da steht ein Zweijähriger vor mir, der gerade sehr verletzende Dinge gesagt und getan hat und alles was ich denke ist:
Ich werde dich immer lieben, egal was du tust. Egal was du sagst.
Egal wie sehr du versuchst, mich von dir weg zu treiben. Ich werde dich immer lieben. Wenn du haust, beißt, schreist und Türen knallst. Wenn du versuchst, mir weh zu tun und es auch mal schaffst. Ich würde dich lieben, wenn du mich nicht mehr in deiner Nähe haben wollen würdest. Wenn du mich weg schicken und nie wieder mit mir sprechen wollen würdest. Nichts wird mir dieses Gefühl je nehmen können.
Und ich würde dich auch lieben, wenn du ein Mörder wärst.
Bubba Ray fällt schluchzend in meine Arme und wieder gibt es Regen, denn die Anspannung regnet ab. Er lässt los. Klammert nicht mehr an seiner Wut fest, sondern sucht einen Ausweg und ich begleite ihn auf diesem Weg. Ich schaukle und wiege ihn, ich tröste und trockne Tränen, ich streichle seinen Kopf und er sagt mir, dass er sauer auf mich ist. Ich bin darauf sehr stolz, denn er hat gelernt, seine Gefühle und Bedürfnisse zu formulieren und ich weiß, dass er mir nach dem Mittagsschlaf nicht mehr nur sagt, dass er sauer ist, sondern auch warum. Dann können wir reden, uns vertragen und beim nächsten Mal besser machen. Ich sage „Okay“. Er braucht gerade keine Diskussion sondern Verständnis für seine Emotion. Er weiß ja selber nicht, wieso das alles so explodiert ist. Er kuschelt sich an mich heran, legt seinen Kopf ab und kurz bevor er einschläft sage ich: „Ich liebe dich, egal was du tust!“.
Mutterliebe
In all der Zeit, in der ich nun Mutter bin, habe ich selbst oft versucht, meine Mutterliebe zu formulieren. Mittlerweile habe ich die Antwort und auch daran ist die Autonomiephase meiner Kinder „schuld“. Ich weiß jetzt, dass ich sie liebe, wenn Sie mir ihre Rucksäcke an den Kopf werfen. Plötzlich weiß ich, dass ich sie liebe, wenn sie mich anschreien und im Supermarkt einen Tobsuchtsanfall bekommen, weil ich irgendetwas falsch verstanden habe. Ich weiß jetzt auch, dass ich sie liebe, wenn sie sich steif machen, bockig auf den Boden werfen und D-Von zehn Minuten lang gegen den Kindersitz im Auto protestiert, weil er nicht gerne Auto fährt und ich minutenlang mit Engelszungen auf ihn einreden muss, bis er endlich die Güte beweist, sich von mir anschnallen zu lassen.
Ich weiß jetzt, dass es egal ist, welcher Zahn kommt, welcher Virus meine Kinder befallen hat, wie viel Eifersucht und Wut und Trauer meine Kinder übermannt, in welcher Härte sie es an mir auslassen und egal, wie sehr sie mich manchmal hassen mögen.
Es spielt keine Rolle. Ich liebe sie. Egal was sie gerade tun und egal, was sie jemals tun werden. Und das unterscheidet sie sehr maßgeblich von allen anderen Menschen auf dieser Erde.
Und mich für sie vermutlich auch.
8 Antworten
Dieser eine Satz, da bin ich mir nicht sicher… ob es wirklich egal ist… ob man sich nicht irgendwann doch distanziert, wenn das (erwachsene) Kind etwas wirklich arg Schlimmes tut, das man, hätte es nicht das eigene Kind getan, extrem verachten würde… ich will mich mit diesen Gedanken nicht befassen, aber man stellt sich die Frage automatisch wenn man irgendwo wieder von einer schlimmen Tat liest… letztens habe ich mal das Interview mit der Mutter eines Amokläufers gehört. Ist aber zu lange her als dass ich mir gemerkt hätte, was sie sagte. Aber unweigerlich denkt man dann: „Was, wenn das mein Kind gewesen wäre…“ Darum geht es dann weniger um die Tat, als, dass das Kind nicht mehr der Mensch ist/war, denn man kannte, zu kennen glaubte, grossgezogen hat… aber das ist dann vlt auch wieder „einfach“, zu sagen: das ist/war nicht mein Kind, nicht das Kind, das ich kannte. Ich hoffe, Du kannst meine Gedankengänge nachvollziehen…
Ich glaube, manwürde sie trotzdem lieben.
Und ich glaube fest daran: wenn man genug Liebe gibt und zeigt und die richtigen Werte vermittelt: dann würde das eigene Kind nichts tun, was mannigfaltig verzeihen könnte…
„Was man nicht verzeihen könnte“
Distanzieren ja, aber in meinem Fall wäre das eine schmerzliche Distanz, denn die Liebe würde nicht aufhören. Es bliebe die Sehnsucht nach der unbeschwerten Zeit, nach den Tagen, an denen noch alles schön war und an denen das Kind nichts schreckliches getan hat. Ich würde nicht aufhören zu lieben, selbst wenn es etwas Schlimmes verbrochen hätte. Zumindest in diesem Punkt bin ich mir sicher.
Ja, dass stimmt
Hallo liebe Katrin,
ein wunderschöner Beitrag. Danke für diesen Text.
Tatsächlich haben mein Mann und ich schon darüber diskutiert, wie wir als Eltern uns verhalten würden, wenn unser Kind als Erwachsener morden würde. Völlig unstrittig war, dass wir es weiter lieben würden. Mein Mann war jedoch der Meinung, dass wir es um jeden Preis schützen sollten. Beispielsweise zu helfen eine Leiche verschwinden zu lassen, egal warum getötet wurde. Da war ich wiederum anderer Ansicht. Wenn es wirklich im strafrechtlichen Sinn ein Mord wäre, etwa aus Eifersucht oder Gier, dann würde ich wollen, dass auch mein Kind dafür belangt wird. Mein Mann meinte, das sei aber keine bedingungslose Liebe. Ich dagegen denke, ich kann auch ein Kind lieben, das im Gefängnis sitzt. Dass sich genau dann die Liebe zeigt, indem man für eine gute juristische Betreuung sorgt, im Gefängnis immer wenn möglich zu Besuch kommt, Pakete und Briefe schickt, anruft und so weiter.
Das ist natürlich eine hypothetische Diskussion. Selbstverständlich gehen auch wir davon aus, dass unser Kind nicht morden wird. Aber trotzdem finde ich die Gewissheit für mich sehr wichtig, nämlich zu wissen, dass diese Liebe auch in schlimmen Fällen nicht erschöpft sein wird und ich sie immer noch zeigen kann.
Wenn es so weit käme, wäre das sicherlich eine riesige emotionale Krise. Aber die Liebe würde nicht aufhören. Ich finde diese Gewissheit in ihrer Schmerzlichkeit trotzdem noch tröstlich.
Liebe Grüße
Esther
Hi Esther,
du hast Recht – hypothetisch. Und dennoch wahnsinnig interessant. Die Gedanken deines Mannes hatte ich auch mal, allerdings ohne Ergebnis. Ich denke, dahinter steckt auch die Frage, ob man in einem tatsächlichen Fall bereit wäre, auch die eigene Freiheit aufs Spiel zu setzen, um sein Kind zu schützen, das etwas sehr wenig schätzenswertes getan hat. Im Zweifelsfall ginge man als Elter schließlich als Mittäter genau so in den Knast und abgesehen davon, dass du dann dein Kind verlierst, verlierst du alles andere auch. Demgegenüber aber die Frage: wie verkraftet man diese Entwicklung eines Kindes und WILL man sein altes Leben, seine Freiheit dann überhaupt noch?
Meine Mutter war 11, als ihre Schwester bei der Geburt meines Cousins starb. Sie hat mit angesehen, wie ihre eigenen Eltern unter diesem Verlust zerbrachen und nie wieder die selben waren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es für uns Menschen nichts schrecklicheres gibt, als den Verlust des eigenen Kindes. Durch Tod, wohl gemerkt, denn im Gefängnis gibt es zwar auch viel Kriminalität, aber auch die Möglichkeit des Besuches, der Bewährung, des Lebens. Als verloren würde es sich für mich dennoch anfühlen, weil ich Freiheit nicht mehr gemeinsam mit meinem Kind erleben würde. Die Trauer wäre dieselbe. Und um auf den Ausgangspunkt zurück zu kommen: welche Qualität hätte mein Leben ohne mein Kind noch und würde ich ein Leben ohne Kind aber in Freiheit einem Leben ohne Freiheit vorziehen, um mein Kind zu schützen?
Schwierige Gedanken und ich bin froh, dass ich mir darüber nicht ernsthaft den Kopf zerbrechen muss und ich hoffe es bleibt auch dabei.
Ich denke übrigens, dass die Tendenz eher in die Richtung deines Mannes geht. Schande über mein Haupt
Liebe Grüße,
Kathrin
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