Meine Kindheit begegnet mir jeden Tag. Das ist wirklich so. Oft sehe ich meinen großen Kleinen an, der mir so ähnlich sieht wie nur möglich und sehe mich selbst, wie ich in meinem Zimmer spielte, tobte, lachte. Mein Sohn lacht sehr sehr viel. Und sehr sehr laut. Und sehr sehr gern. Er lacht ständig, meistens sehr gehässig, oft über Kleinigkeiten und immer wieder über die selben Witze. Und ich sehe ihn dann immer an und wünsche mir, dass er eines Tages an seine Kindheit zurück denken und sich erinnern wird, wie viel er gelacht hat.
Ich erinnere mich an sonnige Tage, an denen wir in kurzen Hosen draußen gespielt haben. In meinen Erinnerungen ist irgendwie immer Sommer. Wir haben Erdbeeren aus dem Garten der Nachbarn geklaut und mussten sie zurückbringen und uns entschuldigen, als wir erwischt worden. Wir kletterten auf Bäume, fuhren auf unseren Rädern die verkehrsberuhigte Straße auf und ab und spielten Mutter-Vater-Kind. Wir bemalten die Straßen mit Kreide und spielten Hüpfekästchen, wir machten Wasserschlachten mit unseren Eltern, dass der Garten unter Wasser stand. Wir verbrachten die Tage so lang draußen, dass wir erst rein gingen, als die Fledermäuse so tief flogen, dass sie unsere Köpfe fast berührten. Unsere Eltern grillten an den Wochenenden draußen, holten den Fernseher raus um Formel 1 zu schauen, während wir Ketten aus Gänseblümchen bastelten. Wir, das waren ich und alle Kinder der gesamten Straße, ganz gleich wie alt, wie groß, wie klein, welcher Herkunft, welcher „Schicht“. Ja, es war sogar egal ob hörend oder nicht, denn wir hatten ein Mädchen aus einer taubstummen Familie unter uns – und so lernte ich kurzerhand Gebärdensprache.
Alles war leicht.
Ich erinnere mich nicht an Handys, Whatsapp oder Facebook. Es wurde nicht erst telefoniert oder eine Nachricht geschrieben um sich zu verabreden, sondern an der Tür geklingelt. Ich erinnere mich an saubere Spielplätze in direkter Nähe, an Tage im Waldseebad, mit Picknickdecke, Kuchen und Pizza, an Planschbecken im Garten und Fußball spielen, bei dem die eine oder andere Fensterscheibe zersprang. Ich erinnere mich an glückliche, sonnige, schöne Tage.
Ich erinnere mich auch an traurige Nächte und Abende. Denn so wie es Facebook und all das noch nicht gab, so googelten Mütter auch noch nicht nach Bedürfnisorientierung und Attachment Parenting – zumindest nicht meine. Ich erinnere mich an Abende, an denen ich mich einsam fühlte, weil ich nicht schlafen konnte und in meinem Zimmer völlig verlassen war.
Ich erinnere mich an den ein oder anderen „Klaps“ auf den Po, der sich deutlich mehr anfühlte als nur nach einem Klaps. Ich erinnere mich an meine Kindergartenzeit, in der ich unglücklich war und jeden Mittag auf dem Jägerzaun vor dem Gebäude saß und die Straße hinunter schaute, denn ich war immer die letzte, die abgeholt wurde und ich wartete immer dort auf meine Mutter. Ich erinnere mich, oft bei den Nachbarn oder meiner Oma gewesen zu sein. Ich erinnere mich an harte Zeiten und Prüfungen, die meinen Eltern gestellt wurden und die ihnen das Leben sehr schwer machten.
Ich erinnere mich an das „The Kelly Family“-Konzert, auf das ich durfte. Ich erinnere mich an einen langen Urlaub an der Ostsee, in dem keiner über Geld stritt und wir jeden Tag einen riesigen Eisbecher aßen. Ich erinnere mich auch an die langen, kalten wunderbaren Winter mit meterhohem Schnee, in dem wir spielten bis die Nasenspitzen fast abgefroren waren. Ich erinnere mich an die Schneemassen, die der Schneepflug vor sich her schob und diese unvergleichbare Stille, die der viele Schnee mit sich bringt. An nicht einem einzigen Tag in 13 Jahren Schule hatten wir Schneefrei! Und wir waren so häufig eingeschneit, dass vor der Schule stundenlanges, schweißtreibendes Schneeschippen angesagt war. Ich liebte den Schnee und tue es noch – auch wenn ich ihn zu selten zu Gesicht bekomme. Ich erinnere mich an heiße Schokolade und warme Bäder.
Ich erinnere mich an ein Weihnachten mit meinen Eltern und meiner Familie, an dem noch das Beisammensein zählte und nicht die Geschenke. Ich erinnere mich an „Heißen Stein“ essen, statt Raclette. Ich erinnere mich, wie meine Mutter jeden Samstag drauf bestand, Essen vom Italiener zu bestellen, wenn man sich sonst schon nicht viel leisten könne.
Ich könnte endlos lang so weiter machen und das tut wirklich sehr gut.
Es tut gut, sich an eine Kindheit zu erinnern, die gut war.
Die sonnig war. Die Höhen und Tiefen hatte. Vieles würde ich gern ausklammern und hätte gern drauf verzichtet, doch heute akzeptiere ich, dass es zu meinem Leben gehört, genau wie die schönen Erinnerungen.
Und heute, jeden Tag einmal, wird mir meine Kindheit wieder präsent. Ich frage mich, was ich mir für Erinnerungen für meine Kinder wünsche? Woran sollen sie sich erinnern können? Was möchte ich für Sie erschaffen, schaffen, möglich machen? Was wird es letztendlich sein, dass ihre Kindheit ausmacht?
Sie werden sich erinnern, an eine Mama, die oft gestresst und abgehetzt war. Die oft schreit. Die noch viel lernen musste. Aber auch an eine Mutter, die sich entschuldigen und selbst verzeihen kann. Die ihre Kinder liebt und zwar viel mehr noch als jede Erinnerung, alles, was sie je gesehen und erlebt hat.
Ich wünsche mir für meine Kinder nicht die selbe Kindheit, sondern eine ganz andere: eine eigene.
Eine Kindheit, die nur ihnen gehört, die sie tief im Herzen einschließen, wo sie Ihnen keiner mehr wegnehmen kann. Auf die alles fußt, die sie prägt und die sie festhalten, die sie weitergeben und doch fest vergraben wollen. Eine Kindheit mit Erfahrungen und Geschichten, mit lachen und weinen, mit Träumen und Wünschen, mit Spaß und Trauer, mit Liebe und Wut, mit Mut und Angst, mit mir und ihrem Vater und vielen anderen Menschen, die sie lieben. Eine Kindheit, eine Zeit, ein Weg, der sie ausmacht.
Ich erinnere mich an so vieles und wenn ich meinen Sohn strahlen und lachen sehe, seine quietschende Lache höre und seinen Mut, den keiner bremsen kann, dann fühle ich sie wieder, diese Kindheit.
Die nur ein einziges Mal kommt und die so zerbrechlich ist.
Und ich weiß, ich will nicht die selbe Kindheit für ihn, wie ich sie hatte. Aber ich will ihm helfen, dieses kindliche Lachen so lang zu bewahren, wie es geht.
Ich erinnere mich vor allem an die Umarmung meiner Mutter, die der, wie ich sie heute meine Kinder spüren lasse, sicherlich sehr ähnlich war. Dann denke ich an Geborgenheit und Liebe. Und an meine Mutter, die mit mir wild zu ihrer Lieblingsmusik durch das Zimmer getanzt ist.
Kindheit ist zerbrechlich.
Und so wertvoll! Wir sollten mit ihr umgehen wie mit einem sehr wertvollen, sehr feinen Diamanten. Und ich glaube fest daran, dass unsere Kinder dann etwas großes daraus machen können.
{Sarah von mamaskind.de hat zum Thema #kindheit eine Blogparade gestartet und dort findet ihr noch einige weitere Beiträge. Vielen Dank für diese schöne Idee und den Anstoß, diesen Beitrag zu schreiben, der der Seele wirklich gut getan hat.}
3 Antworten
Das war sehr schön zu lesen <3 Wie eine kleine Reise in die Vergangenheit, denn bei uns war es ganz ähnlich 🙂 Wenn ich daran denke, wieviel wir draußen gespielt haben, was wir für Quatsch gemacht haben und wie jung wir dabei waren …Ohje … Da kommt noch was auf uns zu 😉
So schön zu lesen! Erinnert mich sehr an eigene Erlebnisse. Ich war auch viel draußen, eroberte die Natur bei meiner Oma, dann die Aktion mit der zerstörten Seitenleiste des Autos… Das fällt alles wieder ein, wenn ich deinen Text lese. Vielen Dank dafür!
Auch der letzte Teil: Du wünscht ihnen einen eigene Kindheit. So finde ich das toll und herzlich!
P.S. Ich war auch bei einem Kelly Family Konzert. Aber nicht lange. Es war mir zu laut und ich weinte und wollte losgehen. 😀
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