„Mama!!“ Bubba Ray klingt erschrocken, als ich aus der Dusche steige. „Du hast ja gar keinen Penis!“, ruft er staunend aus. „Nee, stimmt!“, sage ich, „ich habe keinen Penis. Ich habe eine Vagina. Oder Scheide, kannst du auch sagen.“ Er sieht prüfend nach. „Und wie machst du Pipi?“, bohrt er weiter. „Ich hab ein kleines Loch, aus dem das Pipi kommt“. Bubba Ray grinst. „Aber Papa hat einen Penis! Und ich! Und D-Von“ – „Ja, genau“, antworte ich, „das stimmt. Ihr Jungs habt einen Penis und ich hab eine Scheide.“ – „Haben Frauen immer eine Scheide?“, fragt er noch. „Hm ja – nicht immer. Aber das ist zu kompliziert“, lächle ich und er ist zufrieden.
Wir lassen keine Gelegenheit aus, über unsere Körper zu sprechen. Wenn es passend ist, natürlich. Ich lege großen Wert darauf, die Geschlechtsorgane meiner Kinder beim Namen zu nennen. Und zwar beim Offiziellen. Sozusagen. Das hat vielerlei Gründe:
Wie wir mit unseren Kindern sprechen, formt auch ihre Sprache
Ich zähle mich zu den direkteren Menschen, mag es, wenn Dinge direkt angesprochen und nicht blumig umschrieben werden. Dennoch bin ich höflich und achte darauf, gewaltfrei zu bleiben. Meine Meinung frei äußern zu dürfen bedeutet nicht, es immer auch zu tun. Und auch bei meinen Kindern nutze ich nicht immer und ausnahmslos jede noch so kleine Gelegenheit, sie zu belehren. Werde ich jedoch direkt gefragt, dann gibt es eine direkte und ehrliche Antwort – ganz gleich, ob Bubba Ray mir eine vermeintlich unangenehme Frage stellt oder wir nur über das Wetter reden.
Mit meinen Kindern über ihre Körper zu sprechen, halte ich für unsagbar wichtig. Die Worte, die ich wähle, formen schließlich auch ihre Sprache. Mein Umgang mit meinem Körper und die Sprache, die ich dafür nutze, prägt letztendlich auch den ihren. Ein Penis ist ein Penis und eine Scheide ist eine Scheide. So wie ein Bein ein Bein ist und ein Arm ein Arm. An dieser Stelle könnte das Thema beendet werden – es ist alles gesagt. Doch da gibt es noch weitere Dinge, die ich in meine Überlegungen mit einbezogen habe.
Die Sexualität meiner Kinder als Erwachsene
Jetzt gerade spielt das Liebesleben meiner Kinder noch keine Rolle. Aber jetzt gerade sind sie ja auch noch klein. Stelle ich mir meine Kinder aber als erwachsene Männer vor, dann wünsche ich mir eher seltener für sie so etwas wie einen guten Job und ein schönes Haus. Wohl aber ein glückliches Liebesleben, eine erfüllte Sexualität, eine gute Beziehung zu sich und ihrem Partner / ihrer Partnerin. Ich liebe meinen Mann sehr, wir sind lange zusammen und sehr glücklich – in jeder Hinsicht. Nicht zuletzt liegt das ganz sicher daran, dass wir beide keine Scham haben, die Dinge anzusprechen, die uns wichtig sind – in jeder Hinsicht 😉 Und natürlich wünsche ich meinen Kindern nichts weniger als das.
Wir wissen aus dem bindungsorientierten Ansatz für unsere Kinder, dass wir nur dann in Verbindung und Beziehung zum Außen (also unseren Kindern und anderen Menschen sein können), wenn wir auch in Verbindung zu uns selbst sind. Mit der Beziehung zu unserem Körper ist das ganz ähnlich: ständig schwebt mir das Beispiel „50 Shades of Grey“ im Kopf herum (by the way das schlechteste Buch, das ich je gelesen habe). Denn dort hat die Protagonistin nämlich all das nicht. Kein erfülltes LIEBESleben, der Sex macht auch keinen Spaß und von ihrer Vagina spricht sie stets nur als „da unten“ oder im Original eben „there“. Fürchterlich! 21 Jahre alt und keine Beziehung zum eigenen Körper? Ich stelle es mir unglaublich schwierig vor, meine Bedürfnisse zu artikulieren, wenn ich keine Worte dafür habe. Sexualität ist ein Bedürfnis – zweifelsohne. Also geben wir ihm doch die Worte mit, bitte.
In Verbindung zu mir – in Verbindung zu dir.
Die Verbindung zu meiner inneren Welt, zu meinen Gefühlen und Gedanken lässt mich in Beziehung zu anderen Menschen sein. Und – ich zitiere gern Susanne Mierau und ihr neues Buch „Geborgene Kindheit“: „Wir können nicht nicht in Beziehung sein!“ Die Qualität der Beziehungen sind immer in unserer eigenen Verantwortung. Ich kann also nicht von meinem Freund verlangen, dass er alles tut, um unsere Beziehung zu einander zu pflegen. Betreibe ich keine Pflege, ernte ich auch keine. So ist es auch ein wenig mit der Beziehung zu uns selbst: gestehe ich auch mir selbst ein, achtsam und sorgsam mit meinen Gefühlen und meinem Körper umzugehen, entwickle ich nahezu automatisch ein Gespür für die Welten anderer Menschen. Kurz gesagt: bin ich in Verbindung zu mir, erreiche ich auch Verbindung zu anderen. Und noch dazu eine ziemlich gute. Denn ich weiß stets, was mir selbst gut tut, was sich gut anfühlt, was mich erfüllt und kann dies kommunizieren. Ich lerne meine Grenzen kennen, nämlich immer dann, wenn etwas nicht gut tut und kann auch diese vermitteln.
Auch meinem Gegenüber tue ich damit den Gefallen, mich wirklich und aufrichtig kennen lernen zu können. Keine Ratespiele, kein Ausprobieren. Für mich, als hochsensibler Mensch, eine immens wichtige Bagatelle, denn: erst seit ich zulasse, in mich hinein zu horchen, wahrzunehmen, wann ich überstimuliert bin und wann es „noch ganz okay“ ist, bin ich in wirklich guter Verbindung zu mir selbst. Nach einem anstrengenden Tag halte ich Berührung fast nicht aus, alles zieht sich in mir zusammen. Noch vor einigen Jahren hätte der Mann gedacht, es könnte etwas mit ihm zu tun haben. Heute sieht er mir am Kratzen, Jucken, Hibbeln schon an, dass ich überstimuliert bin und meidet mich großräumig. Wir sind in Beziehung, wir respektieren uns und wahren unsere Grenzen und erkennen genau, was geht und was nicht.
Körperteile sind Körperteile. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.
Und so wünsche ich mir für meine Kinder also nicht weniger als in guter Verbindung zu sich selbst, ihrer inneren Gefühlswelt und ihrem Körper zu stehen. Ich halte es für sehr wichtig, ihnen das vorzuleben und zu signalisieren, dass kein Teil an ihnen schmutzig, verrucht oder sonst irgendwie speziell ist. Wenn einer meiner Söhne auf offener Straße plötzlich auspackt, dann wird darüber gesprochen. Zum Beispiel, warum wir Erwachsenen das nicht machen, warum das gerade in diesem Moment unpassend ist und dass das nichts mit einem Verbot zu tun hat- drinnen kann er mit seinem Körper von mir aus machen was er will. Für Bubba Ray ist das verständlich: draußen lasse ich den Penis in der Hose, drinnen kann er auch raus. Schließlich geht Mama auch nicht ohne Schlüpfer einkaufen. Irgendwie logisch, oder?
Ja, tatsächlich wirkt bereits jetzt der Umgang mit seinem Körper auf mich ungezwungen und wertfrei. Ein Zustand, den ich sehr schützenswert finde und unkommentiert genieße. Denn wenn wir alle ehrlich sind, ist es nur unser Hirn (unsere Prägung / Erziehung / unser eigenes Bild – whatever), das aus einem Penis plötzlich was macht, worüber wir kichern. Eigentlich ist es nämlich nur ein Penis. Oder eine Scheide, ein Arm, oder ein Finger.
Wir reden also weiterhin wertfrei über Körperteile, darüber, wo das Pipi raus kommt und sicherlich auch eines Tages darüber, wie Sex funktioniert. Und ich hoffe sehr, dass meinen Kindern dann nicht die Worte ausgehen.
Wie handhabt ihr das? Wie sprecht ihr mit euren Kindern über ihre Körper? Sprecht ihr schon über Sex oder Sexualität?
Wie fühlt ihr euch dabei und wie war es bei euch, als ihr klein ward?
8 Antworten
Meine Tochter ist 4 und ich benenne die Geschlechtsteile auch mit Vagina und Penis. Und welche Öffnung für was ist, war auch schon Thema.
Allerdings ist Vagina anatomisch nicht ganz korrekt, der Äussere Teil ist die Vulva und dieses Wort finde ich nicht sehr schön.
Ich habe für mich noch nicht die richtige Lösung gefunden. Wir als Paar benutzen daa Wort Pussy.
Ich persönlich finde ja die Wortkreation Vulvina schön. Meine Tochter auch. 🙂
https://youtu.be/w17OSvumkew
Danke für deinen Text. Du sprichst mir aus der Seele! Mir gehen mit unseren Kindern – ihrer und unserer Sexualität ganz offen und natürlich um. Ich finde daran nichts Befremdliches. Eher im Gegenteil: mich verstört verschämtes Peinlichkeitsenempfinden, indem man Kinder dazu anhält „darüber spricht man nicht…“ oder „das sagt man nicht laut!“ oder „fass da nicht an…“. Was sollen unsere Kinder davon dann mitnehmen? Irgendwas stimmt mit meinem Körper nicht? Ich muss mich für ihn schämen? Finde ich nicht gut.
Wir haben auch ganz offene Gespräche in Bezug auf die Hausgeburt mit unseren Kindern geführt – und ja sie wissen, dass die Kinder aus der Vagina der Mama geboren werden! Denn so ist es und warum sollte ich sie anlügen? Denn was anderes würde ich ja nicht tun, wenn ich mir eine angeblich „kinderfreundliche“ Geschichte ausdenken würde… 😉
Liebe Grüße
Mother Birth
Oh Gott ja…. „Das sagt man nicht laut“ finde ich im Übrigen auch ganz fürchterlich. Aus der Perspektive eines Kindes: unerträglich!
Liebe Kathrin,
ich seh das ein bisschen anders. Die Kinder kennen die richtigen Wörter. Sie kennen Penis (eins der hässlichsten Wörter, die ich kenne, dicht gefolgt von „scheißen“), Scheide, Po und Ohr, aber wir sagen trotzdem Schniedel, Mumu, Poppes und Öhrchen. Wir finden das einfach schöner. Wir sagen auch „schnappen“ statt „fangen“. Es gibt einige Beispiele. Bei manchen wählen die Kinder andere Versionen als wir. Maple wollte irgendwann nicht mehr „Klops“ sagen, sondern „Aa“. Bei anderen Wörtern ist sie bei der Familien-Version geblieben.
Die Bezeichnungen ändern nichts daran, dass wir über alles offen reden und wie ich meine Kinder beobachte, nehmen Sie ihren Körper wertschätzend, schützenswert und liebevoll wahr. Redeverbote oder, noch schlimmer, verschämtes, peinlich berührtes Thema wechseln gibt es nicht. Am schlimmsten finde ich das Tabuisieren von Körperfunktionen, allen voran pupsen. Warum ist das so verbreitet? Pupse müssen raus, ich bin immer noch nah dran, jeden Pups zu feiern. #ausgruenden
Erinnere mich auch gern an Maples (3) freudige, laute Verkündung während einer kurzen Sprechpause während der Predigt in der Kirche: „Ich hab gekackt!“
Bei uns zu Hause, früher, wurde zwar alles beim Namen genannt, aber war ultraverklemmt.
Bei uns schnappt sich das Schnappkrokodil (Nagelknipser) die Kindernägel. Wir sind einfach spielerisch, immer schon gewesen. Für mich ist es authentischer, Worte zu benutzen, die ich schön finde. Weniger ernstzunehmen sind sie deshalb nicht. Ich sag ja auch Kindergarten statt Kita und Laptop statt Notebook und so weiter. So seh ich das. Drüber reden: auf jeden Fall. Wortwahl: Jeder so, wie er oder sie mag. Körper thematisieren: ja.
Mo (die auch nicht Mo heißt und den Klang ihres richtigen Namens furchtbar findet und auch nicht gern sagt)
Liebe Mo,
aber um genau diese Redeverbote oder peinlich berührtes Thema wechseln ging es ja. Wenn der Hintergrund für dich, nicht das Wort „Penis“ zu benutzen der ist, dass du das Wort hässlich findest, dann ändert das ja nichts anderes grundsätzlichen Haltung – und das finde ich dann irgendwie auch halb so wild. Meine Eltern waren auch immer sehr offen und haben trotzdem nicht Scheide und Penis gesagt. Ich konnte mit ihnen über alles reden, es war nichts verrucht oder „schmutzig“. Das finde ich fast wichtiger.
Und trotzdem: für mich ist als Erwachsene und Mutter unumgänglich, die richtigen Bezeichnungen zu nutzen. Zumindest für Körperteile. Bei vielen anderen Dingen nutzen wir auch Platzhalter oder Fantasiewörter.
Liebe Grüße,
Kathrin <3
Bei uns ist es ebenso.
Meine Mädchen wissen alle das sie „da unten“ eine scheide haben und der papa.einen Penis.
Sie wissen in groben Zügen wie Sex funktioniert bzw wie ein baby entsteht wie es wächst und wo es raus kommt.
Mir ist wichtig das sie wissen wie wo was funktioniert denn nur so können Sie 1. sich selbst erkennen
2. sich mitteilen ( auch im Bezug auf -so möchte ich nicht berührt werden-) 3. Ist es doch normal und um normales brauch ich nicht herumkirchern oder hinter vorgehaltener hand sprechen.
Was ich aber sehrwohl merke,.Meine große ist fast 7 und viele andere Kinder sind nicht so „aufgeklärt“ wie sie. So wird die scheide zur „mumu“ und der Penis zum “ zipferl“ es wird gelacht udn gekichert….hmmm…
Na gut. Darf auch sein ?
sie weiß es ja ….
Auch lustig … Kind einer Freundin sagt „mimi“ zur vagina.
Meine Tochter ganz entrüstet: komisch…. ok… Ich sag zu meinem fus jetz toni
ich hab gedacht ich bricht weg?
[…] reden wir nicht drüber (My Life in Words). Obwohl, mit unseren Kindern versuchen wir schon über Körper und Sexualität zu reden (Ökohippierabenmütter). Vielleicht wäre es sowieso besser, wir wären alle öfter nackt […]