Ich stehe am Küchenfenster und weil Herbst ist, genieße ich das sogar. Ich mag das bunte Farbenspiel und die Blätter, die fallen. Ich mag sogar Regen! Ich mag Gummistiefel und Regenjacken, Boots und Softshell, ich mag die frische, nasskalte Luft und meinen Sohn, wenn er in Pfützen springt.
Ich muss und will dankbar sein, in allererster Linie für zwei gesunde, ganz zauberhafte Kinder. Wir müssen nicht vor Krieg und Unterdrückung flüchten, können warmes Wasser für die tägliche Wäsche nutzen und meine gestillten, getragenen, bedürfnisorientiert erzogenen Kinder werden im Familienbett und mit BLW und Tragehilfen und Pekip verwöhnt bis zum geht-nicht-mehr. Und das bin ich auch, sehr sehr dankbar.
Aber längst nicht für alles.
Vor ein paar Tagen habe ich den Blog-Beitrag einer Weltreisenden gelesen und seither lässt mich eine Formulierung nicht mehr los „Wenn man nahe dem Äquator lebt, dann….“. Dort befindet sie sich also. Irgendwo in der Nähe des Äquators. Vermutlich liegt sie just in diesem Moment an irgendeinem Strand, braungebrannt, blondes, wallendes Haar und trinkt Kokoswasser.
Während ich hier stehe, die hungrigen Kinder im Nacken, die Küche dreckig und chaotisch, mit dem Blick auf die Hauptstraße, auf die dann und wann ein gelbes, vom Regen beschwertes, Eichenblatt fällt.
Ich bin so weit weg vom Äquator, vom Strand und von wallendem blonden Haar wie man es nur sein kann.
Ich kann mich gut erinnern, wie ich nach dem Abitur so unbedingt keine Weltreise machen wollte. Ich hatte kein Geld und niemanden, der es mir hätte leihen können und dazu noch Angst vor der eigenen Courage. In der Familie, vor allem von meinen Eltern, hatte ich gelernt, dass nur Faule, Reiche und Studenten in der Weltgeschichte rum tingelten. Ich war keins von alledem und so stieß ich die Überlegung, auch nur ein einziges anderes Land zu besuchen, ganz weit weg. Ich fühlte mich Zeit meines Lebens eingesperrt in einer zu kleinen Kleinstadt, die ich direkt nach der Abiturzeugnisvergabe verließ um in eine Großstadt zu ziehen und bis auf eine kurze Ausnahme von nicht ganz 2 Jahren, in denen ich in eine andere Stadt, wenige Kilometer entfernt, gezogen war, hatte ich auch diese Stadt nicht mehr verlassen.
Ich war nie im Urlaub. Ich war, außer auf Schulausflügen, nie im Ausland. Ich hab keine weit entfernten Ziele oder Träume, es ist so wie es ist. Entweder war nie das Geld über oder nie die Zeit. Ich war nie reich, faul oder Student.
Und dann wurde ich Mutter, kurz darauf sogar schon wieder.
Natürlich hört man nicht auf zu reisen, wenn man es immer schon getan hat, wenn man Kinder bekommt. Vielleicht verändern sich die Ausflugsziele, aber dennoch steuert man andere Orte an. Ein Weltenbummler, der Vater wird, wird nicht plötzlich San Marino von der Liste streichen, weil Bauklötze bauen in Castrop-Rauxel interessanter geworden ist. Er wird San Marino ansteuern und zwar in einem Hotel mit Kinderbetreuung.
Aber ich, ich bin noch nie gereist, ich habe mir noch nie ein unbeschwertes Leben gegönnt, habe nie Kokoswasser getrunken und schon gar nicht am Strand und wüsste, ganz davon abgesehen, auch nicht wie ich einen Urlaub am Strand mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern mit dem horrenden Betrag meines Elterngeldes finanzieren sollte. Und so stehe ich also am Küchenfenster unserer Wohnung, mitten in der grauen Großstadt und kann an nichts anderes denken als an die Verfasserin des Blogs, die vermutlich gerade Caipischlürfend mit Laptop und Sonnenhut an einem Strand nahe dem Äquator sitzt. Meine Prognose ist, dass sie weder Kinder noch einen Bürojob noch andere Sorgen hat.
Aber warum sollte das so sein? Jeder hat Sorgen. Jeder hat irgendwas, was ihn plagt. Irgendetwas, dass dieses Strandbild zerstört, was auch in Äquatornähe nicht so einfach mit Wellenreiten zu lösen ist. Oder ist das nur der Neid, der aus mir spricht? Gönne ich es ihr vielleicht auch einfach nicht, dass meine Blogzeilen im Ruhrgebiet entstehen und ihre mit den Füßen im Sand irgendwo in der Nähe des Scheiß Äquators?
Ach ich kenne die doch gar nicht. Soll sie doch. Ich kann mich ja auch nicht beschweren.
Hachja, denke ich und seufze etwas in mich hinein, hachja. Beschweren kannst du dich nicht. Aber wieso bist du denn dann nicht einfach auch mal zufrieden mit dem was du hast?
Meine Kinder sind sehr klein und sehr nah beieinander (I know I know… Darüber jammere ich ohnehin viel zu häufig 😉 ) und in den nächsten Jahren werde ich nichts anderes tun als mich um sie zu kümmern. Das bedeutet konkret, dass ich jede Menge Windeln wechsle, jede Menge Frust abkriege, jede Menge schlaflose Nächte habe, jede Menge Geschrei höre, jede Menge Wutanfälle überstehen und Überzeugungsarbeit leisten muss, jede Menge gesundes Essen koche und jede Menge zauberhafte Erinnerungen an diese unbeschreiblich wunderbaren kleinen Wesen haben werde. Es heißt auch, dass ich jede Menge Tränen trockne, jede Menge Bakterien abwehren und jede Menge Krankheiten auskurieren muss. Und daher verbringe ich jede Menge Zeit hier Zuhause. Und an einem Tag wie heute – es ist Freitag, die ganze Woche lang hatte mein Sohn einen Magen-Darm-Virus, wir gehen alle am Stock – stelle ich mich während das Essen im Ofen ist einfach für ein paar Sekunden Ruhe an das Küchenfenster und schaue den Blättern zu. Und stelle mir vor was wäre, wenn ich nicht die wäre, die ich bin.
Die Antwort ist total einfach: niemand. Denn diese Option besteht nicht. Jeder ist der, der er ist und das aus gutem Grund. An irgendeinem Punkt in unserem Leben entscheiden wir uns, ob wir links oder rechts abbiegen wollen und sind dann der, der wir sind. Dass ich keine Weltreise gemacht und nie andere Strände gesehen habe, dazu hat mich keiner gezwungen außer mir selbst. Und auch meine Kinder habe ich ganz allein gezeugt, geboren und gewollt. Also. Ich bin wer ich bin weil ich sein wollte, wer ich bin. Keinen sonst könnte ich dafür beschuldigen.
Und dennoch wünschte ich mir, ich könnte dann und wann andere Geschichten erzählen, als die, die meinen Söhnen gehören. Denn so ist es faktisch nun mal. Ich begleite sie. In die Krabbelgruppe, in ihrer Wut, in den Schlaf. Aber ich lebe nicht ihr Leben. In einer großen Runde vieler verschiedener Menschen hört meine Beteiligung am Gespräch bald auf, nämlich dann, wenn es nicht mehr oder gar nicht erst um Kinder geht. Denn was soll ich schon erzählen? Meine Tage sind so durchschaubar und strukturiert, laufen immer so gleich ab, dass dazwischen nicht viel erzählenswertes passiert. Es ist ein Wettkampf. Wer schläft zuerst? Wer kommt heute ins Tuch? Heute Spielplatz oder Krabbelgruppe?
Und jetzt mal Hand aufs Herz – wen interessiert’s? Es interessiert meine Söhne, denen ich die bestmögliche Entwicklung schenken möchte aber nicht meine kinderlosen Arbeitskollegen, die zwischen dem Frühjahrs- und dem Herbsturlaub eigentlich nur überlegen, welches Ausflugsziel sie als nächstes auf die Liste setzen.
Nun ja. Ich seufze wieder. Soll ja die Seele erleichtern. Viel an der gegenwärtigen Situation verändern kann ich aktuell nicht, ohne die hart erkämpften Rituale und Strukturen zu gefährden. Aber eines kann ich: meinen Kindern eine andere Welt nahelegen. Ich kann ihnen mit auf den Weg geben, dass diese Welt groß und bunt und schön ist und dass sie jedem offen steht, nicht nur einer ausgewählten Gruppe. Dass Reisen und andere Orte sehen gut ist für die Seele, auch wenn es „nur“ wenige Wochen im Jahr sind und die auch noch verdammt teuer.
Denn an Tagen wie heute, an müden, abgekämpften Tagen wie heute, sind es die Erinnerungen an gute und besondere Tage und Stunden unseres Lebens, die uns aufheitern und hochhalten. Die dafür sorgen, dass wir von etwas zehren können, dass es etwas gibt, dass uns an Gutes denken lässt, wenn eigentlich alles blöd ist.
Ich grinse, denn mir wird klar: wenn meine Kinder groß sind, ich wieder arbeiten gehe und keine Lust auf den Haushalt habe, dann sind es die Erinnerungen an meine Babies, an das zauberhafte Lächeln meiner Kinder, an die vielen Stunden auf dem Kinderzimmerboden und in Krabbelgruppen, von denen ich zehren werde, die mich stark und unbesiegbar machen werden.
Als das nächste Blatt zu Boden segelt, steht mein Sohn in Unterhose mit seinem Schnuffeltuch in der Tür, die Haare zersaust, die Augen nur einen Spalt geöffnet.
Die Äquatorfrau hat den Äquator, ja. Aber ich, ich habe bettwarme Kinder, die nach Kind und Schlaf riechen. Ich habe zwei Geschöpfe von unschätzbarem Wert, die mich und meine Liebe brauchen und nicht große Urlaube. Ich habe diesen unbezahlbaren Wert, der mein Herz hüpfen lässt.
Ich hab hier einen wichtigen Job zu tun. Der Äquator kann warten.
2 Antworten
<3 und du bist der wichtigste Mensch im Leben deiner beiden Schätze, dein Alltag ist ihre Kindheit, an die sie sich gerne zurückerinnern werden, du bist ihr Leben und das noch eine ganze Weile <3
„Der Äquator kann warten.“
du weißt hoffentlich daß ich irgendwann für ein lied oder so „leihen“ werde 😉