„Wir kollidieren mit der unsensiblen Welt um uns herum“ – Tina bei #HochsensibleMütter

Heute darf ich erneut die wundervolle Tina vom Blog Jutima begrüßen, die bereits im letzten Jahr zu Gast bei mir war um darüber zu sprechen, warum sie ihre Tochter zu Hause betreut. Heute ist sie aber hier, um über sich selbst und ihre Hochsensibilität zu sprechen. Sie selbst ist 33 Jahre alt, ihre kleine Tochter ist mittlerweile 5 Jahre. Beide Persönlichkeiten machen neben der Hochsensibilität, über die wir in diesen Interviews schon viel gelesen haben, noch weitere Aspekte aus: Autismus, Vielbegabung und der Einfluss der schnelllebigen und lauten Welt, die an den beiden nicht so einfach spurlos vorbei geht. Damit bringt Tina viele wichtige und bereichernde Informationen – aber lest selbst 🙂

 

Vorhang auf für Tina bei #HochsensibleMütter


 

Du bist hochsensibel. Seit wann weißt du davon? Hast du einen Test gemacht und wenn ja welchen? Und woran bemerkst du deine eigene Hochsensibilität am Deutlichsten?

Dass ich feinfühlig bin, war mir schon immer irgendwie bewusst. Ich hab immer alles rundherum aufgesogen, hatte tausende Interessen, habe ein feines Gehör und eine noch feinere Nase (was im Alltag oft nicht sehr hilfreich ist, vor allem im Sommer 😉 ). Außerdem bekam ich schlechte Stimmungen schnell mit. Wenn in meinem vorletzten Job eine gewisse Person morgens schon anwesend war, spürte ich das bereits bei der Eingangstür. Ich bin sehr harmoniebedürftig.

So richtig bewusst wurde es mir dann durch meine Tochter. Sie war noch feinfühliger, sensibler, wie eine Potenz von mir. Sie hörte buchstäblich jede Stecknadel fallen. Weil ich wissen wollte, warum das so ist, begann ich mich darüber einzulesen und stieß so auf die Definiton „Hochsensibel/Hochsensitiv“ und fand auch mich darin wieder.

 

Hochsensible Mütter schwanken, so Brigitte Schorr, eine Expertin auf dem Gebiet, besonders häufig zwischen Langeweile allein mit dem Kind und Überforderung im Alltag, ständig gepaart mit schlechtem Gewissen. Kannst du das bestätigen?

Ja, absolut. Mein Kind ist sehr fordernd, braucht oft meine totale Aufmerksamkeit und trotzdem habe ich dabei das Gefühl, ich muss noch hundert andere Sachen nebenbei machen. Ich habe immer schon mehrere Dinge gleichzeitig gemacht und war danach dann aber manchmal erschöpft oder überreizt. Ich glaube bei mir kommt noch dazu, dass ich wohl in die Kategorie der Scanner-Persönlichkeit gehöre. 

 

Als Mutter ist man irgendwie ja auch fremdbestimmt durch das eigene Kind. Empfindest du das auch und wenn ja, an welchem Beispiel besonders? Und wie gehst du damit um?

Auch das kann ich bejahen. Ich bin ein sehr strukturierter Kopfmensch, der aber auch spontan sein kann und trotzdem an alles denkt. Doch plötzlich muss man seine Pläne ständig über den Haufen werfen oder irgendetwas klappt einfach nicht so, wie man es sich zurechtgelegt und vorgestellt hat. Unsere Tochter lässt sich auch nicht fremdbetreuen, was die Sache zusätzlich erschwert und mir nur wenige Freiräume lässt.

Am schwersten fällt mir, dass sie absolute Ruhe will. Ich liebe es aber, Musik zu hören. Tagsüber muss ich darauf leider verzichten, aber abends laufe ich dann dafür öfter mit Kopfhörern herum.

 

Ist deine eigene Mutter oder dein Vater hochsensibel? Erkennst du sie in dir wieder? Was schätzt du an deinem hochsensiblen Elternteil? Und was gar nicht?

Puh, darüber habe ich noch gar nicht richtig nachgedacht. Ich würde mal sagen, bei meiner Mama könnte es zutreffen. Bei meiner Oma bin ich mir ziemlich sicher, sie hat selbst schon einmal gesagt, dass sie meiner Tochter als Kind ähnlich war. Ich habe geschätzt, dass ich als Kind so sein durfte, wie ich bin. Zumindest bis zur Schule…

 

Ist dein Kind hochsensibel? Prallt ihr oft aneinander?

Ja, hochsensibel (Hyperakusis) und im Autismus Spektrum. Jetzt prallen wir nicht mehr so häufig aneinander, weil ich jetzt besser weiß, wie ich ihr am besten helfen und begegnen kann und weil sie auch sehr gut gelernt hat, sich auszudrücken und zu regulieren. Wir kollidieren eher mit der unsensiblen Umwelt rundherum. 

 

"Wir kollidieren mit der unsensiblen Welt um uns herum" - Tina bei #HochsensibleMütter

„Wir kollidieren mit der unsensiblen Welt um uns herum“ – Tina bei #HochsensibleMütter

 

 

Empfindest du dein hochsensibles Kind als anstrengend oder kommt es dir entgegen, dass es normal sensibel ist? Ergänzt ihr euch?

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es nicht manchmal anstrengend ist. Aber ich finde es eher anstrengend, hochsensibel zu sein, in einer Welt, die immer schnelllebiger, technischer, lauter, ungeduldiger, aggressiver,… wird. Natürlich hat auch mein Kind anstrengende Phasen – welches Kind hat das nicht. Und manchmal wünsche ich mir, dass wir es leichter hätten. Doch ich denke, jeder hat sein Päckchen zu tragen, und wie singt Coldplay so schön „Nobody said it was easy“ 😉

 

Stressabbau und Selbstregulationsmechanismen: würdest du sagen, du lebst gut mit deiner Hochsensibilität? Welchen Strategien hast du, um dich selbst zu beruhigen und deinen inneren Stress abzubauen?

Ich würde sagen, ich kenne es nicht anders und habe gelernt, damit zu leben. Meine Hilfsmittel: Lesen, Musik und Natur. Diese drei Dinge erden mich am allerbesten. Außerdem bin ich ein Sonnen- und Sommermensch. Mir geht es automatisch viel besser, wenn die Sonne scheint. Keine Ahnung wieso. Womit ich leider gar nichts anfangen kann, ist Sport. Ich glaube, der Sport, der mir Spaß machen könnte, wurde noch nicht erfunden 😉

 

Welchen Rat würdest du anderen hochsensiblen Müttern geben? Und wenn du Literatur zu dem Thema gelesen hast, möchtest du etwas empfehlen?

Ich glaube, da hilft jedem etwas anderes. Am wichtigsten: Tut das, was euch guttut, möglichst ohne schlechtes Gewissen. 

Geht massieren, fahrt sinnlos mit dem Auto durch die Gegend, gönnt euch ein Stück Schokoladekuchen. Setzt euch mal drei Minuten aufs Sofa und starrt an die Wand, wenn ihr das gerade braucht. Hört in euch hinein und holt euch Hilfe wenn nötig. Ihr gebt euer bestes!

Passt auf euch auf – denn man ist schneller ausgebrannt, als man denkt, und dann sagt der Körper irgendwann, dass er nicht mehr kann. Das musste ich voriges Jahr leider selbst erfahren.

Im Internet findet man schon sehr viel zum Thema. Auch das Buch „Das hochsensible Kind“ hat mir gut gefallen.

 

Ein Ausblick in deine Zukunft: Welche Eigenschaft darf wachsen, was willst du so bewahren wie es ist und woran möchtest du gezielt arbeiten?

Wachsen darf mein Mut und mein dickes Fell, das ich mir als Löwenmama zugelegt habe 🙂

Bewahren möchte ich meine Feinfühligkeit für mein Kind. Auf mein Bauchgefühl ist Verlass.

Arbeiten möchte ich daran, es manchmal etwas ruhiger anzugehen. Morgen ist ja auch noch ein Tag und viele „muss“ existieren lediglich in unseren Köpfen, aber nicht in der Realität. 


Alle anderen Interviews dieser tollen Reihe findet ihr hier!

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